Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Damals, als er zugestimmt hatte, war er überzeugt gewesen, Sigismund würde ihn als Einzigen im Amt lassen. Wie leichtgläubig er gewesen war! Wütend spuckte er einen Olivenkern auf den Boden. Schon bei der Anreise hatte sich Unglück angebahnt: Bei der Überquerung des Arlbergs auf dem Reschenpass war sein Wagen umgestürzt – du lieber Gott, ein übleres Vorzeichen ließ sich wohl nicht denken! »Ich liege hier im Namen des Teufels«, hatte Cossa ausgerufen und war in düsterster Stimmung weitergereist. Beim Anblick der Konzilsstadt hatte er den denkwürdigen Ausspruch getan, dieser Ort sei eine Fuchsfalle. Und er hatte recht behalten mit seinem Misstrauen.
Der Papst sah aus dem Fenster. Es wurde schon dunkel, Zeit, dass der Herzog von Österreich endlich auftauchte! Er wollte endlich aus diesem vermaledeiten Konstanz heraus! Diese verfluchte Stadt, die ihn mit Flugschriften und Schmähungen empfangen hatte, kaum dass er eingeritten war. Sein Fähigkeiten, so hatten seine Gegner verbreitet, lagen wohl weniger auf geistlichem Gebiet als vielmehr im weltlichem Bereich: Er habe sich hervorgetan beim Kapern von Schiffen und Weibern, sich zu behaupten gewusst auf militärischem Gelände und im Geschäftlichen. Verschlagen sei er, habgierig, skrupellos und grausam. Seinen Vorgänger habe er meucheln lassen, Unzucht mit allerlei Getier getrieben, der Völlerei gefrönt. Ha, was denn sonst? Auf welchen Papst trafen denn solche Vorwürfe nicht zu? Baldassare Cossa war ebenso wenig ein Waisenknabe wie seine Vorgänger. Heilige gab es nur in der Legende!
Manchmal wünschte er sich tatsächlich nach Neapel zurück, die Stadt, in der er aufgewachsen und reich geworden war. Zurück in die Zeit, als er es noch als Ziel aller Träume betrachtet hatte, Papst zu werden. Diu cane, hätte er nur die Finger davon gelassen! Sein Leben wäre einfacher, ohne Verwicklungen, ohne Ärger und diese verdammten Staatsgeschäfte. Aber er hatte es ja nicht lassen können! Macht, das war es gewesen, Macht und die Aussicht, an der Spitze der gesamten Christenheit zu stehen. Er, der kleingewachsene, dickliche Baldassare, den die anderen oft genug verspottet hatten, wollte der Welt seinen Stempel aufdrücken. Und jetzt hockte er hier, in diesem tristen, eisigen, unbequemen, scheußlichen Winkel der Welt, und musste sehen, wie er aus dieser Klemme herauskam! Ruckartig schob er die Platte mit dem Essen von sich weg. Er hatte Magenschmerzen, kein Wunder. Wo zum Henker blieb dieser verdammte Österreicher?
Während Johannes XXIII. seine schlechte Laune an seinen Leibdienern ausließ, verließ Herzog Friedrich Kreuzlingen. Gefolgt von einer Anzahl unbewaffneter Knappen und Einrosser, so wie es seinem Stand entsprach, ritt der verdammte Österreicher, Schulter und Arm in einem Verband, nach Konstanz. Als Generalkapitän der römischen Kirche war es schließlich seine Pflicht, dem Papst einen Abschiedsbesuch zu machen, darüber konnte sich niemand wundern. Die Wachen vor dem Augustinerkloster ließen ihn mit seinem Gefolge in den Hof ein, wo die Einrosser bei den Pferden warteten. Der Herzog betrat mit einer Handvoll Knappen das Kloster. Einer von ihnen war gutaussehend, blond und kräftig. Er trug unter seinem kurzen Umhang versteckt ein Bündel mit Männerkleidern. Und einen Beutel mit Schlafschwämmen …
Der Anstandsbesuch des Herzogs zog sich eine ganze Weile hin. Endlich, es ging schon auf Mitternacht, verließ der Österreicher in plötzlicher Eile das päpstliche Domizil. Im Licht der inzwischen entzündeten Fackeln bestieg er seinen Leibschimmel und trabte an der Spitze seiner Männer aus dem dunklen Hof des Klosters. Unter dem herzoglichen Gefolge befand sich, als einfacher Knappe verkleidet, ein kleiner, fetter Neapolitaner, niemand anderes als Baldassare Cossa, der sich Papst Johannes XXIII. nannte.
Man schlug den Weg zum Kreuzlinger Tor ein, wo immer noch der Torwart Dienst tat, der sie eingelassen hatte. Er hatte die Begleiter des Herzogs nicht gezählt. Deshalb fiel ihm, als er den ganzen Trupp durchwinkte, auch nicht der zusätzliche Mann mit der Armbrust auf, der mit gesenktem Kopf gleich hinter Friedrich ritt.
In sicherer Entfernung von der Stadt teilte sich die Gruppe. Die eine Hälfte, zu der Friedrich und der Papst gehörten, galoppierte eilig weiter nach Steckborn. Dort bestiegen Johannes XXIII. und sein Generalkapitän ein Boot, das die beiden nach Schaffhausen brachte – die Stadt war vom Reich an Habsburg verpfändet
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