Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
getroffen und Koalitionen geschmiedet, Entscheidungen beeinflusst und Amtsträger mit Handsalben bestochen. So mancher Beschluss des Konzils kam nicht etwa im Münster zustande, sondern in einem der vielen Festsäle oder Speiseräume der Stadt. Oder in Hinterzimmern und Tavernen. Oft ging es um hohe Politik, um viel Geld, um Ämter, Land und Lehen, Macht und Einfluss. Und wer sich nicht überzeugen ließ oder gar den Plänen mancher Leute im Weg stand, der fand sich unversehens eines Nachts mit einem Messer im Leib oder einem Stein an den Füßen im seichten Uferwasser des Bodensees wieder. Fast jede Woche zog man eine Leiche aus dem Wasser; es ging weiß Gott nicht besonders heilig zu bei den frommen Entscheidungen der Kirchenleute.
An diesem Abend hatte Burggraf Friedrich etliche Mitglieder der böhmischen Gesandtschaft in sein Quartier geladen, dazu einige Damen von Rang, einen byzantinischen Geistlichen und zwei Professoren der französischen Sorbonne. Für Ciaran und Meli stand in der Mitte des Speiseraums ein Podest bereit, um das sich die dreiflügelige Tafel gruppierte. Die Gäste waren noch nicht da, und die Dienerschaft lief geschäftig mit Krügen und Bechern, Kerzenleuchtern und Sitzpolstern umher. Auf der Haupttafel standen schon etliche ziselierte Silberteller – je einer für zwei Personen –, drei herrliche, aus großen Nautilusmuscheln gearbeitete Prunkpokale, eine kostbare silberne Handwaschschale und ein wunderschönes Aquamanile aus getriebenem Messing. Vor dem Kamin lagen zwei riesige Doggen und schliefen.
Während Meli sich auf den Boden setzte und mit ihren Dehnübungen weitermachte, packte Ciaran in der Zimmerecke seine Harfe aus. Er setzte sich in eine Fensternische und begann sorgfältig, das Instrument zu stimmen. Eine Veränderung war mit ihm vorgegangen, seit die alte Clairseach nicht mehr das Wyclifsche Vermächtnis in sich barg. Er hatte seine Aufgabe erfüllt, die Verbindung mit den Lollarden war gekappt. Auch seinen Eltern war er nun nichts mehr schuldig. Er war wieder frei, zu tun und zu lassen, was ihm gefiel. Eigentlich hätte er glücklich und zufrieden sein müssen, aber stattdessen spürte er eine merkwürdige Leere in sich. Er fühlte sich wie ein Stück Treibholz auf dem Meer, ohne Halt und ohne Ziel. Vor einer Woche hatte ihn seine innere Unruhe dorthin getrieben, wo die irische Gesandtschaft logierte. Da hatte er den Bischof von Cork gesehen, Patrick Fox, den alle nur bei seinem Spitznamen »Ragged« riefen, weil er immer zerzaust und ein bisschen schlampig aussah. Er hatte den kleinen, rothaarigen William Purcell erkannt, der den Erzbischof von Armagh vertrat. Und er war einem Grüppchen irischer Mönche und Schreiber in eine Schänke gefolgt. Von einem Nebentischchen aus hatte er wehmütig ihren Worten gelauscht, den rauen Klang seiner Muttersprache genossen. Schließlich war er mit einem der Männer ins Gespräch gekommen, hatte nach Clonmacnoise gefragt, nach dem Abt, nach Dingen, die er aus seiner Jugend erinnerte. Bevor er ging, hatte er sogar gemeinsam mit den Iren ein Abschiedsgebet gesprochen, das erste Mal seit er die Insel verlassen hatte. Und eine seltsame Wärme hatte ihn durchströmt, ein altes, fast vergessenes Gefühl der Geborgenheit. Ob er die neue Bekanntschaft fortführen sollte? Vielleicht würde er einmal mit Sanna darüber reden, sie wusste immer so guten Rat. Ach, Sanna! Er war ihr dankbar; sie hatte viel für ihn getan. Es war ein Glück, eine solche Frau zu besitzen, schön, klug und liebevoll. Der Himmel musste sie ihm geschickt haben …
Während Ciaran noch gedankenverloren über die alten irischen Muster der Intarsien seiner Harfe strich, füllte sich der kleine Saal mit Gästen. Der Burggraf, ein außergewöhnlich gut aussehender Mann, wie Ciaran fand, gab ein Zeichen, dass die Musik beginnen sollte. Also nahm er auf seinem Hocker in der Mitte des Raumes Platz und fing an, zu spielen.
Wie immer begann er mit einem frommen Lied, das gut zum Anfang eines Banketts passte:
»Die Driefalt in dem höchsten Thron
lobn wir mit Kyrie Eleyson.
Gott Vatter in dem Himmelrich,
beschirm uns hie und ewiglich
durch deinen heylgen Namen
vor allem Übel, amen.
Gots Nam gesegnet sey am End.
Sein Hülf uns alles Leyd erwend.
Danck sagen wir dir Herre Got
umb all die Speiß die uns ist not
und loben dich mit reychem Schall
umb die und ander Guttat all … «
Nach den ersten beiden Gängen, einem Überfluss an dreißig verschiedenen Fleisch- und
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