Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
in sich zusammen, sein feistes Bäuchlein schob sich vor. »Verzeiht«, murmelte er. »Aber ganz im Ernst – wenn Gott nicht wollte, dass die Dinge so sind wie sie sind, dann hätte er es anders eingerichtet, oder?«
Darauf wusste Sara nichts zu erwidern. Unter ihrem weiten Kleid spürte sie einen unbequemen Druck vor dem Magen: Dort hatte sie Wyclifs Vermächtnis mit Leinenstreifen befestigt. Mit einem Mal wurde ihr die Gefahr bewusst, in die sie sich begeben hatte. Wenn jemand die Schrift entdeckte – was würde wohl mit ihr geschehen? Würde man sie in den Kerker stecken? Würde sie vor Gericht kommen, drohte ihr eine Leibstrafe? Oder vielleicht Schlimmeres? Einen Augenblick lang haderte sie mit Ciaran. Er hatte nie Bedenken geäußert, hatte sie einfach hineingeschickt in diese Gefahr, hatte wie selbstverständlich erwartet, dass sie das für ihn auf sich nahm. Hätte sie etwas Ähnliches von ihm verlangt? Hätte er das Gleiche für sie getan?
Aber nun war es zu spät für Zweifel …
Und dann hatten sie auch schon die Burg erreicht. Der Bogen des Eingangstores lag in einer hohen Mauer zwischen den beiden Türmen. Als sie kamen, wurden die Torflügel schon weit aufgerissen, und sie trabten in den Hof ein. Der Vogt, ein dürrer, spitznasiger Mann, noch recht jung, begrüßte sie erleichtert. »Es wäre ganz und gar schrecklich«, so lamentierte er, »wenn der Gefangene in meiner Obhut, äh … «
Sara legte besorgt die Stirn in Falten. »Geht es ihm denn so schlecht?«
Der Vogt schürzte die Lippen, eines seiner Augenlider zuckte nervös. »Nun, er hat schlimme Leibschmerzen. Er isst kaum. Aber das Bedenklichste scheint mir, dass er in einen Zustand der – wie soll ich es sagen? – Traurigkeit gefallen ist. Der Trübsinn hat ihn gepackt, die Denkschwärze, das Blind-vor-sich-hin-Geschau. Anfangs hat er noch irgendwas geschrieben, über seinen Büchern gesessen. Aber inzwischen liegt er nur noch da. Ich glaube fast, er will sterben. Ja, das glaube ich.« Der Vogt bekreuzigte sich. »Was Gott und alle Heiligen verhüten mögen«, fügte er hinzu.
»Bringt mich zu ihm«, sagte Sara.
Unterwegs erfuhr sie, dass man den Gefangenen auf seinem Turm in ein hölzernes Blockhaus gesteckt hatte, wo er tagsüber an den Füßen gefesselt war und nachts mit den Händen an die Wand gekettet wurde. Anfangs hatte er sich dank Saras Behandlung ganz gut erholt, er hatte wieder essen können und ein paar Pfunde zugelegt. Doch dann waren die Koliken zurückgekommen und auch das Fieber. Und die lange Haft hatte schließlich doch ihren Tribut gefordert: Jan Hus war in eine lähmende Schwermut verfallen, in einen Zustand der Starre, der Hoffnungslosigkeit und der Schwärze. Er konnte nicht mehr arbeiten, nicht mehr denken, nichts mehr wünschen. Nichts war mehr wichtig, nichts war es mehr wert, dafür von der Pritsche aufzustehen. Er wollte nicht sterben, aber er hatte auch nichts dagegen. Alles war ohnehin sinnlos. Sie würden ihn verurteilen, ganz gleich, ob er recht hatte oder nicht.
Hus drehte sich zur Wand, als die Tür seines Verschlags aufging und jemand hereinkam.
Sara setzte sich zu ihm auf das harte Lager. »Ich bin es, Herr Magister«, sagte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Eure Ärztin.«
Er rührte sich nicht. »Was wollt Ihr?«, fragte er ganz leise. »Mir kann ja doch keiner mehr helfen.«
»Diese Entscheidung solltet Ihr Gott überlassen«, entgegnete sie sanft, »meint Ihr nicht auch?«
Er wandte sich um, und sie sah die Stumpfheit, die Glanzlosigkeit seiner Augen. Ihr war klar, dass die wieder aufgeflammte Gallenentzündung nicht das Wichtigste war, was sie behandeln musste.
»Ich bin müde«, flüsterte Jan Hus. »So müde.«
Sara nickte. »Ihr habt die Melancholei, Meister Hus. Das liegt am Eingesperrtsein. Und wie ist es mit den Schmerzen?«
Er seufzte. »Ach, die sind wiedergekommen.«
»Ich werde Euch wieder Wickel machen lassen und Aufgüsse.« Sara stand auf und sah aus dem vergitterten Fenster. Draußen, tief drunten, floss der Rhein, der den Ober- mit dem Untersee verband. Vom Ufer flog mit knatternden Flügeln eine Vogelschar auf und zog ihre Bahn über das silbrig schimmernde Wasser. »Man darf die Hoffnung nicht aufgeben«, sagte Sara. »Herr Magister, Ihr habt eine Aufgabe, eine Botschaft. Ich darf mir kein Urteil erlauben, aber mir scheint Eure Lehre gut und recht. Sie ist es wert, verteidigt zu werden.«
Jan Hus winkte müde ab, aber er setzte sich immerhin auf. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher