Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
goldene Sessel vor dem Lettner-Altar ist für den Papst, der bleibt frei, daneben vor dem Georgenaltar stehen die Bänke für die Patriarchen. Ah, da kommen sie ja.«
Unter dem Gesang der päpstlichen Kapelle zogen jetzt die vornehmsten Teilnehmer des Konzils durch die Hauptpforte ein, allen voran der König in vollem Ornat, ganz in Weiß und Gold, mit Krone, Zepter und Reichsapfel. Ich sah ihn zum ersten Mal; prächtig und ehrfurchtgebietend sah er aus, ein schöner Mann in den besten Jahren! Mit ernster Miene durchschritt er den Mittelgang und ließ sich auf seinem Thron nieder. Neben ihn setzten sich die höchsten Herren des Reichs: der Pfalzgraf, der Burggraf von Nürnberg, der Herzog von Bayern und ein ungarischer Magnat. Der König reichte ihnen all seine Insignien, und sie hielten die kostbaren Teile vor sich auf den Knien.
Das Münster war inzwischen brechend voll. Ich sah nicht viel, aber ich hörte das Aufraunen, als man Jan Hus hereinführte. Endlich glückte es mir, mich noch ein Stückchen weiter vorzuschieben, und dann erblickte ich ihn.
Er stand im hinteren Drittel des Kirchenschiffs. Ruhig und gefasst wirkte er, ja, ich sah ihn sogar einmal kurz lächeln. Ich kannte ihn nur als schmutzigen, ungepflegten Gefangenen in zerrissenen Kleidern, aber nun war er sauber und rasiert, und er trug die feinen Gewänder eines Geistlichen.
Die Verhandlung selber konnte ich nicht verstehen, denn sie wurde auf Lateinisch geführt. Es dauerte bis weit über Mittag hinaus, und ich bemerkte, dass es Jan Hus schwer fiel, so lange zu stehen. Manchmal schwankte er kurz, aber wenn er etwas sagte, dann klang seine helle Stimme fest und sicher. Irgendwann war es dann so weit: Einer der Bischöfe erhob sich und las mit brüchiger Altmännerstimme etwas vor, was offensichtlich das Urteil war. Jan Hus senkte kurz den Kopf. Dann betete er laut. Ich verstand nicht, was er sagte, aber später erzählte mir ein Mönch, den ich fragte, dass er Gott um Vergebung für seine Feinde angefleht habe.
Sobald er geendet hatte, drückte ihm einer der deutschen Bischöfe einen Messkelch in die Hand, nur um ihn gleich wieder wegzunehmen mit den Worten: »Du verfluchter Judas, wir nehmen den Kelch der Versöhnung von dir.« Erzbischof Nikolaus von Mailand, zwei Kardinäle und weitere Würdenträger traten vor und entledigten den Verurteilten unter feierlicher Verfluchung Stück für Stück seiner priesterlichen Kleidung. Es war eine öffentliche Degradation, und an Jan Hus’ Gesicht konnte man sehen, wie er unter diesem Ritual litt. Am Ende ergriff einer der Bischöfe ein paar Haarsträhnen des Magisters und schnitt sie mit einer großen Schere ganz nah am Kopf ab. Ich verstand es so, dass man dadurch seine Tonsur, das Zeichen des Mönchtums, zerstören wollte. Nun war Jan Hus also aus dem geistlichen Stand verstoßen und der weltlichen Gewalt untertan. Zum allergrößten Hohn setzte man ihm nun auch noch eine papierene Mütze auf, die ihn als Ketzer ausweisen sollte. Auf das Papier hatte man drei schwarze Dämonen oder Teufelsgestalten gemalt, mit Hörnern, Klauen und Schweif.
Einer der Bischöfe sagte, wieder auf Deutsch, zu Hus: »Deine Seele übergeben wir dem Teufel.«
Und Hus antwortete: »Und ich übergebe sie dem gnädigen Herrn Jesu Christo.«
Dann führte man ihn unter weiteren Gesängen der päpstlichen Kapelle aus dem Münster und lieferte ihn der weltlichen Gerichtsbarkeit aus, in Person des Reichsrichters Pfalzgraf Ludwig und des Vogts von Konstanz.
Ich ließ mich von dem Menschenstrom mitziehen, der nun ebenfalls aus der Kirche drängte. Ich wusste nicht, wohin der Weg ging. Irgendwann passierten wir das Geltinger Tor, und zum Schluss erkannte ich, wo wir waren: Auf einer Wiese, an der ich auf dem Weg nach Gottlieben vorbeigeritten war. Sie hieß Brühl und lag zwischen Stadtmauer und Graben. Wie zum Hohn sollte Jan Hus in einer Gegend sterben, die man gemeinhin »Paradies« nannte.
Die hohen Geistlichen und auch der König waren nicht mitgekommen, und so war die Richtstatt nur von einfachen Leuten bevölkert, darunter viele Weiber und Kinder, die alle Zeugen der Hinrichtung werden sollten. Man zog dem Magister das Unterkleid aus, und so stand er nackt und bloß da, kaum mehr als Haut und Knochen, ein jämmerlicher Anblick, wären da nicht diese Augen gewesen. Sein Blick ging mir durch und durch, er war wie entrückt, als ob er jetzt schon die Ewigkeit erspähen könnte. Und erneut, diesmal noch mehr, sah ich in ihm den,
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