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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Sie sang die vertrauten Lieder mit, aß Speisen, deren Geschmack sie schon lange nicht mehr auf der Zunge gespürt hatte. Jeden Augenblick genoss sie.
    »Wir sind sehr froh, dass du beschlossen hast, dich hier niederzulassen, Sara bat Levi!« Die Stimme von Levi Colner riss Sara aus ihren Gedanken. »Es steht unserer Gemeinde gut an, eine eigene Ärztin zu haben. Inzwischen sind wir wieder viele.«
    »Wie alt ist die Würzburger Gemeinde?«, wollte Sara wissen.
    »Vielleicht dreihundert Jahre, mit Unterbrechungen«, gab Levi Colner zurück. »Willst du etwas über unsere Vergangenheit hören?«
    Sara nickte. Und so erzählte der Gemeindevorsteher die alte Geschichte von Leid, Mord und Vertreibung. »Weit vor dem Jahr viertausendneunhundert zogen die ersten Juden aus dem Rheinischen hierher und ließen sich in der jungen Stadt Würzburg nieder«, begann er. »Es enstand eine blühende Gemeinde, reich und stolz. Doch nach kaum fünfzig Jahren kam die erste Prüfung. Kreuzfahrer waren in der Stadt und fanden Teile einer Leiche im Main. Sie beschuldigten die Juden des Mordes, und brachten zweiundzwanzig von uns um, darunter drei Rabbiner und einen Schriftgelehrten. Der Bischof konnte nicht helfen, aber er ließ später die Körper der Ermordeten einsammeln, balsamieren und in seinem eigenen Garten in der Pleich bestatten. Noch heute befindet sich an dieser Stelle unser Friedhof.«
    »Meine Eltern liegen dort begraben«, sagte Sara, und er lächelte ihr voll Anteilnahme zu, bevor er weitersprach. »Während des Schlachtens gelang es etlichen von uns, vorübergehend in eine Festung nahe der Stadt zu fliehen, sonst wäre wohl keiner übrig geblieben. Die Überlebenden kamen zurück und erbauten das Viertel, in dem wir heute leben. Von überall her zogen andere Juden zu, und unsere Gemeinde wurde in den nächsten Jahrzehnten zu einer der wichtigsten im Land. Wir hatten eine schöne Synagoge, einen Hekdesch und eine weithin berühmte Jeschiwa. Würzburg wurde ein Hort jüdischer Kunst und Gelehrsamkeit.« Levi Colner nahm einen großen Schluck Wein und tupfte sich mit einem Tüchlein die Tropfen vom Bart. Man merkte ihm an, dass er gern erzählte. »Damals«, erklärte er, »war es auch, dass uns der Kaiser verkaufte. Für zweitausenddreihundert Mark Silber überließ er den Judenschutz dem Bischof. Seitdem zahlen wir die Judensteuer, den Goldenen Pfennig, an ihn, und er ist unser Schutzherr. Stell dir vor, zwölfhundert Pfund Heller brachte die Gemeinde damals jährlich für den Goldenen Pfennig auf, so reich war sie. Und natürlich waren es viele, viel mehr als heute, vielleicht an die zweihundert Familien. Und dann«, er wischte sich über die Augen, »dann kamen zum zweiten Mal Tod und Verderben über uns. Hast du schon einmal von den Rintfleisch-Horden gehört?«
    Sara wusste, wovon ihr Gastgeber sprach. »Rintfleisch war der adelige Anführer eines mörderischen Haufens, der nach einem angeblichen Hostienfrevel durch ganz Franken zog und alle Juden gnadenlos umbrachte.«
    »Genau so war es«, nickte Levi Colner. »Tausend unschuldige Opfer allein in Würzburg. Die Gemeinde war vernichtet und wurde danach nie wieder so groß wie früher, auch wenn in den darauffolgenden Jahren wieder viele Juden zuzogen und zunächst eine friedliche Zeit anbrach. Doch es dauerte kaum vierzig Jahre, bis uns das nächste Unglück traf. Der Ritter Armleder kam mit seinen Männern aus dem Taubertal, und es gab ein neues Morden und Plündern, so lange, bis der Würzburger Rat seine Juden endlich in Schutz nahm. Ach, es war nur eine kurze Frist, die uns dadurch gegeben war. Denn dann kam die Pest und mit ihr der Untergang. Unsere Gemeinde, verfolgt und mit dem Tod bedroht, entschloss sich zum Kiddusch Haschem. Sie schlossen sich in ihre Häuser ein und zündeten sie an. Keiner überlebte. Auch mein Großvater war unter den Toten, der Allmächtige lohne ihm sein Opfer.«
    »An der Stelle der alten Synagoge steht heute die Marienkapelle«, mischte sich Rabbi Süßlein ein. »Darum ist sie noch so neu und unfertig.« In vielen Städten war es so, dass nach einer Judenvertreibung an der Stelle der Synagoge ein Marienhaus errichtet wurde – um die Juden, die nicht an die Gottesmutter glaubten, ein weiteres Mal zu demütigen.
    »Aber der Fürstbischof erkannte sehr schnell, dass es ohne jüdische Geldverleiher für Stadt und die Kirche keinen Wohlstand geben würde«, sprach Levi Colner weiter. »So erlaubte er die erneute Ansiedlung von Juden und

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