Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
schlechter Kerl, aber er war der Falsche für dich.«
Ich nickte unter Tränen. »Ich hab euch alle angelogen«, sagte ich. »Das liegt schwer auf meinem Gewissen.«
»Was du uns gesagt oder nicht gesagt hast, war deine Sache«, erwiderte Janka. »Das Gesetz der Fahrenden lautet: ›Frage nie.‹ Ciaran hat es zwar für sich in Anspruch genommen – keiner von uns wusste etwas von seiner Vergangenheit –, aber er hat es dir nicht zugestanden. Das war sein Fehler.«
In diesem Augenblick hörte ich ein Jammern durch das Fenster zum Hof. Ich sprang auf: »Du liebe Güte, Jochi!«
Ich lief nach unten. Meine Schwester stand im Unterkleid mitten auf dem Hof, den Läuseturban immer noch auf dem Kopf, und sah sich suchend um. »Boker tov, Jochi«, sagte ich und nahm ihre Hand. »Komm, ich will dich jemandem vorstellen.« Sie folgte mir brav ins Haus und ließ sich von mir den Schlaf aus den Augen wischen, bevor wir zu Janka und Pirlo in die Kammer gingen.
»Das ist meine kleine Schwester, Jochi«, sagte ich. »Nur sie hab ich wiedergefunden. Meine Eltern sind tot.«
Jochi ließ sich etwas ängstlich von Janka und Pirlo umarmen, dann entdeckte sie den Herzog von Schnuff, der sich wieder vor dem Kamin ausgestreckt hatte. Ihre Miene hellte sich beim Anblick des Hundes auf; sie ging hinüber, hockte sich zu ihm auf den Boden und kraulte ihn hinter den Ohren. Er legte vertrauensvoll sein Kinn auf ihr Knie, sah mit großen Augen zu ihr auf und grunzte zufrieden.
»Sie ist … «
» … ein Sternenkind«, ergänzte Janka. »Davon gibt es viele. Sie werden so, weil bei ihrer Zeugung die Sterne in einer bestimmten Konstellation stehen, heißt es.«
Ich seufzte. Oft hatte ich ganz andere, hässliche Erklärungen gehört. Einen Wechselbalg hatte man sie genannt, ein Drudenkind, toll und närrisch, gezeugt auf widernatürliche, verbotene Art, Gottes Strafe für lästerliche Sünden der Eltern.
»Sie ist immer unser Kummer gewesen«, sagte ich. »Und unser Glück. Jetzt hat sie nur noch mich.«
»Was willst du nun tun?«, fragte Pirlo später, nachdem auch Jochi ein Frühstück bekommen hatte und er selber sich von Janka Brust und Rücken hatte einreiben lassen.
»Ich weiß noch nicht«, antwortete ich ehrlich. Ich hatte noch keine Zeit gehabt, mir Gedanken zu machen. Wieder überfiel mich der Schmerz über den Verlust von Ciaran. Aber nun, ohne ihn, war ich auch frei, über mein Leben neu zu entscheiden. Und ich brauchte auch nicht mehr Versteck zu spielen. Laut überlegte ich: »Herumziehen werde ich mit Jochi wohl nicht mehr können. Das wäre ihr zu viel, sie würde nicht damit zurechtkommen, ständig woanders zu sein.«
»Dann musst du dir eine Bleibe suchen«, meinte Janka. »Brauchen sie zu Würzburg keinen Arzt?«
»Was wird denn aus euch?«, fragte ich zurück. »Ihr seid jetzt ganz allein, und du, Pirlo, bist noch lange nicht richtig gesund. Auch für euch ist das Herumziehen nichts mehr.«
Janka zwinkerte. »Oh, das wissen wir schon lange, Kindchen. Ich hab die Karten gefragt, sie sagen, es ist Zeit, zu bleiben. Wir kommen langsam in ein Alter, in dem sich ein Fahrender einen Unterschlupf sucht. Hier ist’s nicht schlecht, die Stadt ist gut zum Leben. Und der Wirt ist recht froh, dass er jetzt jemanden hat, der die Arbeit seiner davongelaufenen Frau übernimmt – das hab ich ihm nämlich angeboten. Herr Vitus, hab ich gesagt, mein Leben lang koch ich schon für viele hungrige Mäuler. Und nie hat einer gesagt, ihm schmeckt’s nicht. Die Jüngste bin ich zwar nicht mehr, aber wenn mir jemand mit den schweren Arbeiten zur Hand geht, schaff ich es. Da hat er richtig aufgeschnauft, unser Wirt. Wegen seiner gräßlichen Kocherei sind ihm nämlich schon die Leute weggeblieben. Für unsern Kranken hier wär auch gesorgt, sobald er seine Knochen wieder in Bewegung bringt, hat er gesagt.« Sie tätschelte Pirlo vorsichtig den Rücken, um ihm nicht wehzutun. »Er soll die Schweine, Ziegen und Hühner versorgen, und abends kann er fiedeln und seine Faxen machen. Das zieht die Kundschaft an. Dafür dürfen wir im Hinterhaus über dem Krautund Rübenlager wohnen und bekommen Kost und ein paar Pfennige.«
Ich freute mich für die beiden. Es hatte mir schon Sorgen gemacht, was aus ihnen würde, wenn sie einmal nicht mehr weiterziehen konnten. Und was mich und Jochi betraf, hatte Janka sicherlich recht. Ich beschloss, beim Magistrat anzufragen, ob zu Würzburg eine Ärztin gebraucht würde.
Gebet eines Arztes
von Mose
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