Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
seiner Harfe, die neben dem Bett lag und warf sie mit einem wilden Aufschrei gegen die Wand. Mit hässlichem, metallischem Klingen rissen die silbernen Saiten, das trockene Weidenholz knackte, die Verzahnungen brachen. Das kostbare Instrument zersprang in zwei Teile, wie sein Herz.
Sara
Die Nacht überstand ich nur, weil Jochi da war. Ich schmiegte mich an sie, und sie schlang im Schlaf ihre Arme um mich, wie sie es als Kind getan hatte. Ich weiß nicht, was ich ohne sie getan hätte, verzweifelt wie ich war. Oh, was Ciaran an diesem Abend zu mir gesagt hatte, war nichts Neues für mich, ich hatte solche und ähnliche Beleidigungen oft genug gehört. Und ich hatte sie mit Demut ertragen und hinterher aus meinen Gedanken verdrängt, so, wie wir Juden es von Kindheit an gelernt hatten. Doch diesmal konnte ich die Schmach nicht aushalten und ich würde sie auch niemals vergessen. Nicht irgendjemand, nein, der Mann, den ich geglaubt hatte, zu lieben, hatte mir den Hass der ganzen Christenheit entgegengeschleudert. Ich lag in den Kissen und in mir war so viel Trauer, Wut, Scham, Bitterkeit und Enttäuschung, dass ich glaubte, es müsse mich zerreißen. Irgendwann, als der kalte Morgen graute, hörte ich Räder polternd aus dem Hof rollen. Ich stand auf, schlug mir die Decke um die Schultern und trat ins Freie. Der Platz, an dem Ciarans Wagen gestanden hatte, war leer. Ich stand eine Weile da, sah zu wie der weiße Hauch meines Atems in der Luft Wölkchen bildete und spürte der stumpfen Leere nach, die sich in mir ausbreitete.
»Er ist fort, ja?« Jankas Stimme riss mich aus meiner Erstarrung. »Der Narr!«
Ich drehte mich um. Da stand die alte Wahrsagerin hinter mir, ein schwarzes Wolltuch um Kopf und Oberkörper geschlungen. Kein Wort kam über meine Lippen, und so legte sie mir einfach den Arm um die Schultern und führte mich nach drinnen in ihre und Pirlos Stube. Im Kamin brannte schon ein kleines Feuer, Pirlo saß davor in seinem Lehnstuhl und nippte an einem Becher Brühe. Zu seinen Füßen döste der Herzog von Schnuff.
»Setz dich«, sagte Janka in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, und schob mir ein Schemelchen an den Tisch. »Er war dir nicht bestimmt.«
Ich legte den Kopf auf die Arme und begann, hemmungslos zu schluchzen. Der Herzog von Schnuff trabte sofort zu mir herüber, stupste mich mit seiner feuchten Nase an und winselte mit.
Janka ließ mich ausweinen, dann stellte sie ein Schüsselchen mit Brei aus gequollener Hirse, Hühnerfleisch und Rüben vor mich hin. »Iss«, sagte sie. »Es ist keine Milch drin.«
Ich sah sie ungläubig an.
Sie lächelte und drückte mir einen Holzlöffel in die Hand. »Glaubst, du, die alte Janka hätte nicht gewusst, dass du eine vom Volk Mose bist?« Mit leisem Kichern schnitt sie eine Scheibe Brot ab und legte sie auf den Tisch. »Jeder, der es hat wissen wollen, hätte es wissen können. Niemals Schweinefleisch, ts, ts, ts. Der gute Schnuff ist fett und rund geworden, von dem Tag an, seit du bei uns warst. Dann in jedem noch so winzigen Bächlein ein Bad, auch wenn’s kalt war, hm! Nicht wissen, wann welcher Feiertag ist! Dich mit der falschen Hand bekreuzigen! Bei gemeinsamen Gebeten so tun, als ob du mitsprechen würdest! Dabei hattest du keine Ahnung, was die richtigen Worte waren. Ja, ja!«
Eine große Erleichterung überkam mich. Sie wusste, dass ich Jüdin war, und hatte sich trotzdem nicht von mir abgewandt. Sie war mir nicht böse. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte sie umarmt, aber sie drückte mich auf den Schemel nieder.
»Jetzt iss endlich, Kindchen. Hungern macht die Welt nicht besser.«
Tatsächlich hatte ich seit dem letzten Mittag nichts mehr in den Magen bekommen, und so begann ich, zu löffeln. Pirlo schlurfte herüber, setzte sich dazu und ließ seinen Schnurrbart ein paar Mal lustig auf- und abhüpfen, um mich aufzumuntern. »Schätzelchen«, sagte er schließlich – so nannte er mich meistens –, »du bist bei uns immer willkommen. Für uns Fahrende sind alle Menschen gleich. Schau dir nur an, wer zu uns gehört: Zigeuner, Verwachsene, Gesetzlose, Mohren, Zwerge, Welsche, Huren, Bucklige, Mauren – was halt alles auf Gottes Erdboden kreucht und fleucht. Was einer glaubt oder nicht glaubt, das kümmert uns nicht, und geht auch niemanden etwas an. Aber nicht jeder kann so denken wie wir, und Ciaran ist im Kloster groß geworden. Das legt man nicht ab wie einen alten Mantel. Janka hat schon recht, er ist kein
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