Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
weitere Behandlung mehr brauchte. Die Oberlippenteile wuchsen gut aneinander, der Spalt war geschlossen. Die schöne Richhild küsste unter Tränen der Dankbarkeit den Saum von Saras Gewand, und Immina schenkte ihr ein selbstgebasteltes Püppchen zum Abschied. Es war der Tag nach Palmsonntag.
Drei Wochen später brachte ein städtischer Bote ein Schreiben in die Judengasse, an dem das bischöfliche Siegel baumelte. Sara entrollte es mit zitternden Fingern – war es das Verbot der Berufsausübung, weil sie Christen behandelt hatte? Angstvoll begann sie zu lesen, ihre Lippen formten lautlos die ungewohnten Buchstaben und Wörter. Dann fiel sie Jochi, die ihr mit gerunzelter Stirn über die Schulter geblickt hatte, mit einem Juchzer um den Hals. Jochi freute sich mit, sie griff Sara bei den Händen und hopste mit ihr ausgelassen auf der Gasse herum. Jenta kam neugierig aus dem Haus, und von der anderen Straßenseite liefen Levi Colman und seine Frau herbei, die gerade ihre Pfänder ausgelegt hatten. »Lies doch vor!«, bat der Gemeindevorsteher. »Wenn’s eine gute Nachricht ist!«
Und Sara las:
»Bekenne, dass Wir angesehen haben den Fleiß, so Sara Judenertztin zu Wirtzburg zur Hülfe Unserer Landsleut gehabt hat, und haben ihr dadurch und von sundern Gnaden erlaubt und vergönnt wissentlich mit dißem Brieff, dass sie sich in Unsern Landen und Städten wo ihr das gefiel setzen und darin wohnen mag. Wir wollen ihr auch in Steuer und ander Weg kein arge Mitleidung thun, sondern sie mag nit gantz frei aber billig daselbst sitzen. Davon gebieten Wir allen Unseren Hauptleuten und besonder der Jüdischheit und ihrer Meisterschaft in denselben Unseren Landen und wollen, dass Wir benannter Sara bei solchem Unserem Vergönnen und Gnaden bleiben lassen und ihr daran kein Irrung und Hinderniß zu thun, noch des jemand anders zu thun gestatten in keiner Weis, das meinen Wir ernstlich. Mit Urkund des Briefs gegeben am Tag nach Philippi et Jacobi anno 1416. Johannes Fürstbischoff zu Wirtzburg etc. etc.«
Eintrag in einem Würzburger Kopialbuch
des 15. Jahrhunderts
Als die Juden Ertztin gefreiet ist iii Jar
Wir Johannes etc. tun kunt uf alz daz mit Uns uberkomen ist Sara Judenerztin daz sie Uns jerlichen fur den Gülden Pfenig 2 Gulden und dartzu zu Steuer und Leibniß zehen Gulden gibt also wollen Wir es die Zeit als dann mit Uns darumb ist uberkomen bleiben lassen, und dartzu dise nechsten drew gantze Jar ungehindert von Uns und Unser wegen, und ob sie yemand darumb anlangen wolte, oder anlangte, gein den sollen Wir sie nach unserm besten Vermögen daz das abkomme und abgetan werde, ongeverde.
Datum ferias tertias an Jubilate anno xviii.
Riedern und Würzburg, Sommer 1416
Ein Falke wird eher sterben, als sich dem Druck zu beugen.« Ezzo ritt gemächlich auf seinem Schimmel neben Finus her. Auf dem Sattelknauf des Jungen hockte ein noch junger, schmächtiger Wanderfalke, den ruckenden Kopf von einer Lederhaube verhüllt. Sie hatten den Vogel vor ein paar Wochen zu Eger einem Bauernbuben abgekauft, der ihn aus dem Nest geraubt hatte. Finus war glücklich über den Kauf gewesen, aber bald noch glücklicher war Ezzo, der seinen guten alten Brun nie vergessen hatte. Finus plante schon des Vogels Zukunft: »Wenn er sich gut anstellt, gehen wir nächstes Jahr um diese Zeit auf Reiherjagd!«, freute er sich.
»Oh, nur langsam, mein Kleiner«, versetzte Ezzo gutmütig. »Auf Reiher gehen nur Sakerfalken. Deinen Sirius können wir auf Wasservögel abrichten, Enten, Blesshühner, Wildgänse. Wenn er alt genug ist, fangen wir an. Dazu brauchen wir ein Federspiel, das basteln wir uns, samt der Quastenschnur, an der es hängt. Damit musst du mit dem Falken lange üben, bis er dir vertraut, und du ihm. Schau, das Wunderbare an der Beizjagd gründet sich auf der Schwierigkeit, den Vogel, der von Natur aus Einzelgänger ist und den Menschen scheut, dem menschlichen Willen zu unterwerfen. Und das muss geschehen, ohne seine natürlichen Eigenschaften als Jagdvogel anzutasten.«
Finus nickte begeistert. »Er wird lernen, dass er die Beute bringen muss und nicht fressen darf.«
»Richtig. Er bekommt das Zieget – ein Fleischstück auf deiner Faust – als Belohnung. Das muss sein einziges Ziel sein.«
Einträchtig ritten die beiden einen Hohlweg entlang, der durch dichten Wald führte. Ezzos Aufgabe in Prag war längst erfüllt. Er hatte die Schriften des Jan Hus zusammen mit Wyclifs Vermächtnis an Jan Zizka, den Einäugigen,
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