Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Wiedersehen. Finus führte das große Wort. Er erzählte von den Abenteuern, die sie auf dem Weg erlebt hatten, schilderte die herrliche Stadt Prag in allen Farben und stopfte dabei Unmengen von Hirsebrei und Preiselbeermus in sich hinein. »Ezzo hat mir auch beigebracht, wie man mit dem Schwert umgeht, und mit Pfeil und Bogen. Und er will mich die Beizjagd lehren, hier, mit Sirius!« Stolz präsentierte er seinen Falken, der auf einer Stuhllehne hockte. Schnuff musste beleidigt zusehen, wie Finus ein Stückchen rohes Fleisch aus dem Hundenapf stibitzte und an den Vogel verfütterte.
»Was ist mit Sanna und Ciaran? Sind sie auch hier?« Ezzo hatte lange gewartet, bis er die Frage stellte, die ihm auf der Zunge gebrannt hatte.
Janka legte den Löffel hin. »Ciaran ist fort«, sagte sie schlicht. »Er hat sie verlassen, schon vor Monaten.«
Ezzo senkte den Kopf, um sich seine widerstreitenden Gefühle nicht anmerken zu lassen. »Und warum?«, fragte er.
»Du weißt, warum.« Janka sah ihn mit ihrem durchdringenden Blick an.
Ja, er wusste es. Nicht nur der alten Kartenlegerin, auch ihm war Saras Geheimnis nicht lange verborgen geblieben. Aber im Gegensatz zu Ciaran glaubte er nicht an all das Schlechte, was man den Juden nachsagte. Sein Vater hatte regelmäßig Geschäfte mit einem jüdischen Geldverleiher aus Miltenberg gemacht; er erinnerte sich, auf dem Schoß des bärtigen Mannes als Junge Hoppereiter gespielt zu haben. Auch bei Hof in Buda und im Umfeld der Königin hatte es immer Geldjuden gegeben, er hatte manchen von ihnen recht gut gekannt. Sie lebten nach anderen Regeln, warum auch nicht? Die Welt war groß und hatte Platz für alle. Und dass die christliche Kirche nicht unfehlbar war, ja im Gegenteil, viel Zweifelhaftes an sich hatte, das war Ezzo spätestens zu Konstanz klar geworden. Hochmut schien ihm da fehl am Platz. Und schließlich: Seine Zuneigung zu Sara war ihm immer wichtiger gewesen als irgendwelche Vorbehalte gegen ihren Glauben. »Wie geht es ihr?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Oh, gut, gut.« Pirlo winkte ab, er hatte die Besorgnis in Ezzos Miene gesehen. »Sie hat ihre Schwester wiedergefunden und lebt nun mit ihr in der Judengasse. Ihr Ruf als Medica ist schon über die Stadtmauern hinausgedrungen; der Fürstbischof hat ihr sogar Steuererleichterung gewährt!«
»Dann fühlt sie sich also hier heimisch … «, meinte Ezzo.
»Geh hin und frag sie selbst!« Janka begann, den Tisch abzuräumen.
»Das werde ich tun.« Ezzo erhob sich ebenfalls. Ein kleines Glücksgefühl stieg in ihm auf. Er würde Sanna sehen! Und Ciaran war nicht mehr da …
»Bis später«, sagte er, griff nach seinem Mantel und war zur Tür hinaus.
»Warte!« Finus sprang auf. »Ich hol nur noch Sirius!«
»Du bleibst da!« Janka drückte den Jungen wieder auf seinen Stuhl zurück.
»He, warum denn?«, protestierte Finus.
Janka sah ihm mit ihrer feierlichsten Wahrsagermiene tief in die Augen, dann zwinkerte sie ihm verschmitzt zu. Ihm ging ein Licht auf. Die beiden grinsten sich verschwörerisch an.
»Möcht bloß wissen, was ihr jetzt schon wieder habt«, grummelte Pirlo. »Aber mir sagt ja keiner was … «
Würzburg, am selben Nachmittag
Ezzo wanderte unentschlossen über den Domplatz, dann am Rathaus Grafeneckart vorbei auf die Mainbrücke zu. Er wollte sich erst selbst über so einiges klar werden, bevor er zu Sara ging. Der Tag war schwül, ein Gewitter hing in der Ferne über den Weinbergen, die Schwalben flogen schon tief. Kein Windhauch war zu spüren, über dem Fluss flirrte die Luft. An einem solchen Tag blieben die Leute wegen der sommerlichen Hitze gern in den kühlen Häusern, sogar die Stadtschweine lagen träge schmatzend im Schatten und dösten, von Fliegenschwärmen umsummt.
Er fand den Weg zum Mainufer und setzte sich auf den Baumstumpf einer alten Trauerweide. In der Nähe, von einem dichten Gebüsch aus, hielten ein paar Buben trotz des bischöflichen Angelverbots ihre Ruten ins Wasser – vor einem Donnerwetter bissen die Mainfische besonders gut. Ezzo sah ihnen eine Weile zu und grübelte.
Er hatte sich auf das Wiedersehen mit Sara und Ciaran gefreut – und auch wieder nicht. Schon vor einem Jahr war es nicht leicht für ihn gewesen, dem jungen Glück der beiden zuzusehen, und am Ende, in Konstanz, als seine Liebe zur Königin zerbrochen war, schien es ihm fast unerträglich. Darum war es auch gut gewesen, dass ihn die Königin mit ihrem letzten Auftrag nach Böhmen geschickt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher