Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Alte krümmte sich und stöhnte. Er konnte vor Schmerz nicht weiterreden.
»Hört, Vilsgruber«, sagte Jehuda geduldig. »Eure Blase ist zum Bersten voll. Und an Euren Augen sehe ich, dass Ihr die trockene Hitze habt, das heißt, die Ausscheidungsorgane sind bereits angegriffen. Ich kann Euch vielleicht noch helfen, indem ich ein Silberröhrchen einführe und den Harn ablasse. Das muss aber in den nächsten Stunden geschehen, sonst werdet Ihr unter Schmerzen elendiglich sterben.«
»Besser mit Christo gestorben, als durch einen Judendoktor mit dem Teufel gesund geworden«, keifte der Alte. »Verschwinde, Drecksgeschmeiß!«
»Steht es wirklich so schlimm um ihn?«, raunte die Vilsgruberin Jehuda zu.
Der nickte. »Er hält nicht mehr durch, bis der Doktor Peller vom Land zurück ist. Wenn nichts unternommen wird, stirbt er vielleicht schon heut Nacht.«
Die Vilsgruberin erschrak. »Vater«, sagte sie eindringlich, »lass Deine Sturheit sein und gib nach. Es geht ums liebe Leben. Wenn der Hans heut Abend vom Flößen heimkommt, will er keine Totenklage halten.«
Der Alte atmete gepresst. »Verschwind, du schlechtes Weibsstück!«, stieß er mühsam hervor. »Holst mir einen verfluchten Hebräer ins Haus! Hinaus mit euch allen, sag ich, hinaus!«
»Ihr wollt also lieber sterben als Euch von mir helfen lassen? Herr, bedenkt Euch doch!« Jehuda versuchte es noch einmal. Im nächsten Augenblick wich er dem zinnernen Kerzenleuchter aus, den der Patient mit aller Kraft nach ihm geworfen hatte. Da war wohl nichts zu machen. Er breitete mit einem Seufzer die Arme aus, drehte sich um und ging.
Die Vilsgruberin lief ihm nach und hob bittend die Hände. »Verzeiht ihm, Meister, er ist ein alter Mann und schon immer ein sturer Bock gewesen, Gott sei’s geklagt.«
Jehuda nickte betrübt. »Es tut mir leid, dass ich nicht helfen kann.«
Sie wollte ihm ein Geldstück in die Hand drücken, doch er lehnte ab. »Ich habe nichts getan, was der Bezahlung wert gewesen wäre, Vilsgruberin.« Dann wandte er sich an Sara, die die gesamte Szene stumm mit angesehen hatte. »Komm, wir gehen.«
»Aber die Christen müssten doch wissen, dass ihnen ein jüdischer Arzt nichts Schlechtes antut … «, begann Sara nach einiger Zeit, als sie gerade über den Rindermarkt gingen.
»Die meisten wissen das auch. Aber manche sind eben verblendet. Immer wieder hat es Verbote für jüdische Ärzte gegeben, am Krankenlager von Christen zu praktizieren. ›Ein Narr bei solchem Hülfe sucht, der Christum selbst – und dich – verflucht‹, den Spruch habe ich oft gehört. Und das ist nicht der einzige. ›Die Judenärzt tun großen Fehl, sie bringen alle in die Höll.‹ Die Christen erzählen sich allerlei schlimme Geschichten.«
»Das ist doch närrisch!«, ereiferte sich Sara.
»Das ist nicht närrisch, wenn man bedenkt, dass die christlichen Ärzte, die meist weniger bewandert in der Heilkunst sind, von solchen Geschichten einen Nutzen haben.« Jehuda legte seiner Nichte besänftigend den Arm um die Schulter. »Schau, Sara, ein Arzt muss jeden Menschen mit der gleichen Gewissenhaftigkeit und Treue behandeln, ob Christ oder Jude. Sonst wäre er ein schlechter Vertreter seiner Zunft.«
Sara seufzte. »Wenn ich Ärztin werden will, dann muss ich das wohl noch lernen«, sagte sie unbedacht.
Jehuda nahm seinen Arm von ihrer Schulter und sah sie mit hochgezogenen Brauen an. »Ärztin willst du werden? Oj, schlag dir das ganz schnell wieder aus dem Kopf. Schließlich bist du eine Frau, und Frauen haben eine andere Bestimmung.«
»Aber … «
»Kein Aber! Es ist ja gut, dass du mir manchmal hilfst – das tut die Jettl auch immer. Aber der Beruf des Arztes ist schwierig und anstrengend. Er erfordert, dass man ihm sein ganzes Leben widmet. Wie soll eine Frau das können? Sie muss die Aufgaben des Hauses übernehmen, Mann und Familie versorgen. Das sagt die Thora.«
»Die Thora sagt aber nicht, dass Frauen nicht heilen dürfen.«
»Äh, nun ja, nicht direkt … « Jehuda suchte nach weiteren Argumenten. »Aber Frauen können vieles, was der Arztberuf von einem Menschen fordert, gar nicht aushalten. Oft muss man seinen Ekel überwinden, Gestank und Geschrei ertragen, in Kot und Eiter fassen, offene Wunden behandeln, brennen, schneiden, amputieren. Das viele Blut … «
»Blut macht mir nichts aus.«
Jehuda runzelte die Stirn. Dieses Mädchen war dickköpfig wie ein Esel. Das musste sie sich von Jettl abgeschaut haben. Vermutlich brauchte seine
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