Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
unübertroffen. Das liegt daran, dass Maimonides bei seinen Behandlungsmethoden nur die Vernunft gelten ließ, die Wissenschaft, das Erwiesene. ›Die Augen sind vorwärts und nicht rückwärts‹, sagte er. Er ging immer den einfachen, den natürlichen Weg. So befand er, eine Krankheit sei zuallererst mit der richtigen Ernährung zu bekämpfen. Das nennt man Diätetik. Wo der Arzt eingreifen muss, schreibt er, besteht seine eigentliche Aufgabe darin, die Kraft des Kranken zu stärken und die Natur in ihrer Wirksamkeit zu unterstützen. Und er schreibt, dass die Geisteskräfte des Menschen eine starke Einwirkung auf die Gesundheit haben. Deshalb muss nicht nur der Leib, sondern auch der Geist geheilt werden. So, meine lernbegierige kleine Helferin, jetzt rühren wir weiter unsere Salben an, damit meine Patienten nicht klagen können, ich würde sie vernachlässigen.« Er erhob sich und sperrte das Buch wieder sorgfältig weg. Sara folgte ihm in die Offizin. Ihr schwirrte der Kopf.
Später am Tag begab sich Jehuda auf seinen üblichen Rundgang. Wie immer wollte er zuerst etliche Kranke in der jüdischen Gemeinde besuchen und dann im Hekdesch vorbeischauen, wo die alten Leute täglich seiner Pflege bedurften. Sara und Jettl säuberten derweil die Behandlungsstube und wuschen Verbände aus. Während sie hantierten, klopfte es ans offenstehende Fenster.
»Ist der Judendoktor daheim?«
Sara verneinte. Draußen stand eine Frau mittleren Alters, der Kleidung nach eine Christin. Sie hatte vom Laufen einen roten Kopf und schnappte nach Luft. »Ach Gott, ach Gott«, jammerte sie, »mein Schwiegervater stirbt, fürcht ich, so schlecht ist er beieinander. Und diese Schmerzen!«
»Ich kann meinen Onkel suchen gehen, wenn es so dringend ist«, meinte Sara.
»Ach, ich bitt recht schön! Und bringt ihn dann so schnell es geht zum Schiffertor, ins Haus zum grünen Schild. Mein Mann ist der Großschiffer Hans Vilsgruber, er zahlt auch gut.«
Sara warf sich einen Mantel um, schnallte die Trippen unter – die Straßen waren schlammig vom Herbstregen – und machte sich auf den Weg. Sie fand ihren Onkel in der Küche des Judenspitals, wo er der Küchenmagd gerade erklärte, welche Gewürze am besten gegen Blähungen halfen.
Gemeinsam machten sie sich auf zum Schiffertor, das hinaus in die Isarauen führte. Die Tür des Hauses zum grünen Schild stand offen, und drinnen empfing die Hausfrau sie erleichtert. »Ach Gott sei Dank, dass Ihr da seid, Meister Jehuda«, sagte sie. »Der Alte kann seit Tagen nicht mehr Harn lassen. Die Schmerzen bringen ihn bald um. Vor einer Stunde hab ich gedacht, er braucht den Priester, so hat’s ihn gehabt.«
Jehuda nickte. »Bringt mich zu ihm.«
Sie stiegen eine Treppe nach oben zur Schlafkammer des Kranken. Schon hörte Sara ihn stöhnen, dann sah sie ihn halb aufrecht sitzend in seinem Alkovenbett, die Augen geschlossen, ein greises Männlein mit eingefallenem, bleichen Gesicht.
»Vater, der Medicus ist da«, sagte die Vilsgruberin leise.
Der Alte öffnete die Augen. »Endlich«, murmelte er mit raspeltrockener Stimme. »Ich halt’s nicht mehr aus. Wenn ich nicht schnell wieder pinkeln kann, zerreißt’s mich noch.«
Jehuda trat ans Bett und wollte eben das dünne Laken vom Unterleib des Patienten ziehen, als dessen Blick auf den gelben Judenfleck fiel, der am Umhang des Arztes aufgenäht war. Plötzlich kam Leben in den Alten. Er richtete sich auf, streckte beide Arme gegen seinen Helfer aus und kreuzte die Zeigefinger. »Teufel, du!«, kreischte er, die Augen weit aufgerissen. »Bleib mir vom Leib, Judensack!«
»Ich bin Arzt«, meinte Jehuda versöhnlich. »Eure Schwieger hat mich geholt, sie kennt mich, ich habe ihr schon drei Mal schlimme Gallenschmerzen vertrieben.«
Schafgarbe, Hirtentäschel, Katzenpfoten, Leinkraut, Löwenzahn, dachte Sara. In siedendes Wasser, eine halbe Kerzenlänge ziehen lassen.
»Bei mir vertreibst du nichts, beschnittenes Gesindel!«, zeterte der Alte.
Jehuda blieb ruhig. »Ein christlicher Medicus würde nichts anderes tun als ich«, erwiderte er.
»Verdammt will ich sein, wenn ich mich von einen Judenlumpen anfassen lasse«, geiferte der Kranke. »Lieber krepier ich.«
»Vater«, mischte sich die Vilsgruberin ein, »sei doch vernünftig. Der Doktor Peller ist über die Isar gesetzt und erst morgen Abend wieder da. Und Meister Jehuda hat den besten Leumund, er hat sogar schon bei Hof behandelt.«
»Ein Christusmörder, ha! Was will der … « Der
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