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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Bub war wie vom Erdboden verschluckt. Schließlich benachrichtigten die sorgenvollen Eltern früh am nächsten Morgen den Viertelmeister, der wiederum dem Stadtknecht Bescheid gab. Ein Suchtrupp durchkämmte das ganze Viertel, obwohl man am Karfreitag weiß Gott lieber in die Kirche gegangen wäre. Ab Mittag schlossen sich immer mehr Leute den Suchenden an, und die Aufregung wuchs. Irgendwann erzählte ein Mädchen, dass der Martel am Tag vorher am Kaltenbach gespielt hatte, und ein anderes erinnerte sich, dass er mit einem fremden Mann weggegangen war. Alles konzentrierte sich nun auf den Bach und seine Ufer.
    Hinter dem Schuppen, der direkt an den Wasserlauf gebaut war, wurde das Bächlein durch ein Brett aufgestaut und bildete eine tümpelartige Ausbuchtung. Hier hingen ein paar Fischkästen, in denen der Stadtfischer seine fetten, silberglänzenden Isarforellen bis zum Verkauf aufhob und mit Setzlingen eine kleine Fischzucht betrieb. Ein Entenpärchen flatterte laut schnatternd auf den vordersten Kasten und begann, sich ausgiebig zu putzen. Nachdenklich sah einer der Suchenden zu. Er scheuchte die Vögel weg, hob den locker aus Weiden geflochtenen Deckel des ersten Kastens hoch – und prallte zurück. Der Stadtknecht schaute ihm über die Schulter und murmelte: »Heiligemariamuttergottes.« Dann brüllte er: »Hierher! Kommt alle her!«

    Sie legten den Martel vorsichtig auf die Bleichwiese, als ob sie ihm jetzt noch wehtun könnten. Sein nackter, magerer kleiner Körper war mit unzähligen Messerstichen fürchterlich zugerichtet, es war ein entsetzlicher Anblick. Schneeweiß leuchtete seine Haut im Sonnenschein, als sei kein Tropfen Blut mehr in ihm. Da drängte sich auch schon seine Mutter durch die Menge der Umstehenden und brach laut schreiend über ihrem jüngsten Sohn zusammen. Ihr Schluchzen und Weinen war herzzerreißend. »Wie die Schmerzensmutter«, murmelte jemand. Auch die Brüder und der Vater waren inzwischen da, ein Bild des Jammers. Die Menschen standen dabei, bedrückt, erschüttert und zutiefst aufgewühlt. Eine Frauenstimme fragte: »Bei allen Heiligen, wer bringt so was fertig?«
    »Und das am Osterfest!«, ergänzte ein anderer.
    »Das war kein Mensch, wo das gemacht hat«, raunte ein dritter.
    »Ein Teufel muss das gewesen sein.«
    »Oder vielleicht ein Dämon?«
    »Es soll auch Hexen geben, die Kinder töten, um an ihr Fett zu kommen … «
    So gab jeder seine Meinung zum Besten, während der kleine Martel bleich und still dalag. Und irgendwann raunte einer: »Die Juden. Das waren die Juden!«
    »Genau!«, kreischte ein Weib. »Verflucht sollen sie sein!«
    Diese Sätze hörte der Salzhändler Nierlinger, der ganz hinten in der Menge stand, ein angesehener Münchner Bürger aus guter Familie, der sich am Nachmittag aus lauter Langeweile an der Suche nach dem Buben beteiligt hatte. Ihm gehörte ein schönes, großes Fachwerkhaus im Tal, die Geschäfte liefen nicht schlecht, und er hätte eigentlich keine Sorgen haben müssen – wenn da nicht der verdammte Spielteufel gewesen wäre, der ihm im Nacken hockte. In letzter Zeit hatte er mehr verloren als er verkraften konnte und stand deshalb gleich bei mehreren Juden tief in der Kreide. Nierlinger hob den Kopf und blinzelte. Wann hätte er je eine gute Gelegenheit nicht erkannt und beim Schopf gepackt? »Jawohl«, schrie er laut und stieß seinen Nachbarn mit dem Ellbogen an. »Die Juden waren’s!« Der riss die Augen auf.
    »Die Juden, das Mörderpack!«, pflichtete von irgendwoher jemand bei. »Jetzt bringen sie schon unschuldige Kinder um!«
    »Das weiß doch jeder, dass die so was machen!«, stimmte der Stadtknecht zu.
    »Blut, sie wollen ihr Blut!«, keifte ein altes Weib heiser. »Das sammeln sie in wachsgetränkten Beuteln und trinken es bei ihren gottlosen Zusammenkünften.«
    »Genau! An Ostern machen sie’s, grad unserem Herrgott zum Hohn.«
    »Mörder!«
    »Ach Gott, der arme unschuldige Bub!«
    »Die sollen bekommen, was sie verdienen!«
    »Judenschweine, elendige!«
    In der Menge brodelte es. Niemand war da, die aufgewühlten Leute zu beruhigen, und der Nierlinger warf geschickt hier und da einen Satz ein, um Wut und Zorn noch zu steigern. Irgendwann schrie ein Weib mit schriller Stimme: »Bringt sie doch alle um, die Christusmörder! Los, bringt sie um!«
    »Ja, lasst sie büßen!« Das war wieder Nierlinger. »Die grausligen Frevler! Christus selbst haben sie geschändet, heut, am heiligen Kartag!«
    Dann schrie alles

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