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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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durcheinander. Die Männer setzten sich in Bewegung; an der Spitze des Haufens marschierte der Stadtknecht mit gezogenem Schwert. Ihr Ziel war die Judengasse. Am Anfang gingen sie noch, dann rannten sie im Laufschritt, Zeter und Mordio brüllend. Sie hatten Messer, Dolche, Spieße, Knüppel, und in ihren Augen brannte Mordlust.

    Sara saß am rückwärtigen Fenster in ihrem Studierstübchen unterm Dach, als sie den Lärm hörte. Noch war die wütende Meute weit weg, aber die Schreie, das Klirren von Glas, das Brechen von Holz, wenn eine Tür eingerannt wurde, verhießen nichts Gutes. Sie legte ihr Buch weg und rannte über die schmale Stiege nach unten. Jehuda und Jettl standen mit sorgenvoller Miene in der Küche.
    »Habt ihr das gehört?«, fragte sie atemlos. »Es kommt von der Synagoge her!«
    »Wenn es das ist, was ich befürchte, dann … «, sagte ihr Onkel. Sie hatte ihn noch nie so bleich gesehen.
    Jettl rang die Hände. »Ja, was ist es denn?«
    »Eine Judenhatz! Sie bringen alle Juden um, die sie finden können!«
    Ein unterdrückter Aufschrei von Jettl. Sara spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich. »Aber warum?«
    Jehuda schob die beiden Frauen zur Hintertür. »Ich habe so etwas schon einmal erlebt, in Spanien. Sie lassen all ihre Wut an uns aus. Schnell, wir haben keine Zeit zu verlieren!«
    »Aber wir haben ihnen nichts getan«, protestierte Sara.
    »Sei jetzt still und geh mit Jettl in die Holzlege. Ihr versteckt euch hinter dem Holzhaufen. Ich komme gleich nach.«
    »Was willst du tun?«
    Onkel Jehuda schubste die beiden zur Tür hinaus. »Ich muss noch ein paar Dinge zusammensuchen. Los jetzt!«
    Voller Angst hasteten die beiden Frauen zum Schuppen und quetschten sich in den schmalen Zwischenraum zwischen dem aufgeschichteten Brennholz und der Bretterwand. Jehuda raffte währenddessen hastig die wichtigsten medizinischen Instrumente zusammen und stopfte sie in eine große lederne Tasche. Dann hob er mit einiger Anstrengung eines der Dielenbretter hoch, holte einen kleinen Zugbeutel heraus und tat ihn dazu. Anschließend wühlte er in fieberhafter Eile in seiner Büchertruhe, zog endlich den gesuchten Band hervor und steckte ihn ebenfalls hinein. So schnell er konnte, rannte er in die Holzlege und reichte die Tasche den beiden Frauen zu. Sara und Jettl drückten sich eng aneinander, um Platz für ihn zu machen, aber er machte keine Anstalten, hinter den Holzstoß zu kriechen. Stattdessen sagte er: »Ihr bleibt hier und rührt euch nicht, was auch geschieht. Es hat keinen Sinn, auf die Straße zu flüchten, dort lauft ihr nur den Mördern in die Hände.« Dann war er fort, noch bevor Sara fragen konnte, was er vorhatte.
    Jettl stöhnte auf und zog den Zipfel ihres Schleiers vors Gesicht. »Oj, er will Kiddusch Haschem machen«, jammerte sie voller Verzweiflung, »oj, oj.«
    Saras Herz setzte einen Schlag aus. Kiddusch Haschem, das war die »Heiligung des Heiligen Namens«, die Verherrlichung des Herrn durch den Tod, das Aufsichnehmen des Martyriums für den jüdischen Glauben. Die Kämpfer gegen die römische Eroberung in der Festung Masada hatten dies getan und waren durch ihren Selbstmord als Helden in die Geschichte ihres Volkes eingegangen. Und bei den Verfolgungen während des Ersten Kreuzzuges hatten auch viele rheinische Juden diesen Weg gewählt, anstatt sich zwangsbekehren oder abschlachten zu lassen.
    »Das kann er doch nicht tun«, sagte Sara.
    »Doch.« Jettl schloss die Augen. »Er wird in der Welt, die da kommen wird, das große Licht erblicken, amejn.«
    Sie umarmten sich verzweifelt und kauerten sich in dem engen Spalt dicht aneinander. Draußen wurde es laut, jemand brüllte, eine Butzenscheibe zerbarst durch einen Steinwurf. Sara spürte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Jettl betete. Und dann, plötzlich, machte sie sich von Sara los. »Ich muss zu ihm«, sagte sie, und ihre Stimme klang gefasst. »Ich kann ihn doch nicht alleine gehen lassen.«
    »Nein, Jettl!«
    Sara wollte nach ihr greifen, sie festhalten, aber die alte Magd schüttelte den Kopf. »Was soll ich denn ohne ihn auf der Welt?«, sagte sie leise. Dann war sie auch schon hinter dem Holzstoß vorgekrochen, und noch ehe Sara es hätte verhindern können, hatte sie geschickt ein Brett schräg in die Öffnung gespreizt. Sara rüttelte daran, aber es gelang ihr nicht, die Latte von innen zu entfernen. Sie war eingeschlossen.

    Sie hatten die Tür des Doktorhauses mit Äxten zertrümmert und waren in den Flur

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