Die Silberne Festung
Gehäuse zielen. Das warf keine Probleme auf.
Die Raumstation rotierte mit idealer Geschwindigkeit, nicht zu schnell, nicht zu langsam. In wenigen Sekunden würde das Gehäuse ins Laservisier wandern, so daß er eine Sichel-Rakete hindurchjagen konnte. Oberst Iwan Woloschin sah ein rotes Licht aufblitzen. Zugleich wurde ihm plötzlich warm, als sei er in eine Wanne mit heißem Wasser getaucht worden.
Dieses Gefühl war so angenehm, daß er die Wärme über sich hinwegplätschern ließ – wie früher als Säugling, wenn seine Mutter ihn gebadet hatte…
Er nahm diese angenehme Kindheitserinnerung mit sich ins Nichts, als sein Raumflugzeug Elektron II in unzählige feurige Wrackteile zerplatzte.
Raumflugzeug Elektron l
»Elektron zwo, Meldung über den Lichtblitz auf Ihrer Seite«, verlangte der General. Keine Antwort. »Woloschin, Meldung!« Goworow mußte seine Steuertriebwerke benützen, um ein großes Wrackteil – vermutlich von der demolierten Raumstation – zu übersteigen, das plötzlich vor ihm aufgetaucht war.
Er warf einen Blick auf seine Treibstoffanzeigen. Das wilde Ausweichmanöver und die ständigen Lagekorrekturen, um über der rotierenden Station zu bleiben, hatten seinen Treibstoffvorrat gefährlich angegriffen.
Vergeudete er jetzt weiter kostbaren Treibstoff, um Woloschin zu suchen, gefährdete er vielleicht sogar seinen Rückflug. Jedenfalls blieb ihm keine Zeit mehr, weitere Subsysteme der Station aufzuspüren, zu identifizieren, ins Visier zu nehmen und anzuschießen.
»Woloschin, Treibstoffvorrat?« Keine Antwort.
»Elektron zwo, hier Elektron eins. Angriff abbrechen und einen Kilometer über der Stationsachse sammeln. Bestätigen!«
Noch immer keine Antwort. Für Goworow war plötzlich eine Wende zum Schlechteren eingetreten: Er hatte seinen Rottenflieger eingebüßt, besaß lediglich minimale Treibstoffreserven und hatte nur noch fünf Sichel-Raketen, ohne daß ihr Ziel zerstört gewesen wäre. Er gab seine Position parallel zu der taumelnd rotierenden Station auf und umkreiste sie.
Elektron II war nirgends zu sehen. Um Treibstoff zu sparen, war Woloschin vermutlich über dem Wrack geblieben und… von einem Trümmerteil getroffen worden…
Goworow blieben nur mehr wenige Minuten, bis er seine Umlaufbahn verlassen mußte. Er wandte sich wieder der rotierenden Station zu, aktivierte sein Laservisier und zielte auf die Module der amerikanischen Raumstation…
Armstrong-Raumstation
»Ann? Hörst du mich?«
Die Bordsprechanlage funktionierte nicht mehr. Das Licht war – bis auf zwei Lampen der Notbeleuchtung – völlig ausgefallen. Saint-Michael konnte nicht beurteilen, ob die Kombination aus SBR und Skybolt funktioniert hatte. Er wußte nicht einmal, ob Ann noch lebte.
Plötzlich erschien ihm seine riesige Raumstation wie ein die Erde umkreisendes Mausoleum, und Saint-Michael wurde nur noch von dem Gedanken beherrscht, Ann zu finden, um sie aus dieser dunklen Grabkammer herauszuholen.
Seit dem die übrigen Besatzungsmitglieder das Kommandomodul geräumt hatten, trug Saint-Michael das Unterteil seines Raumanzugs. Jetzt schwebte er zum Oberteil hinüber, schlüpfte hinein und zog den Spezialverschluß zwischen den beiden Hälften zu. Als er den Helm aufsetzte, die Handschuhe anzog, eine Hör-Sprech-Garnitur aufsetzte und das Lebenserhaltungssystem einschaltete, atmete er weiter mit Hilfe seines Sauerstoffgeräts. Dann bewegte er sich auf die in den Verbindungstunnel hinausführende Luke zu.
Saint-Michael ließ den Verbindungstunnel hinter sich und hatte eben das Technikmodul erreicht, als Boden und Decke um ihn herum zu explodieren schienen. Der mit Klettmatten ausgelegte Boden wölbte sich wie kochendheißer Asphalt auf. Funken stoben durch den Raum. Ein Warnsignal ertönte; dann blinkten die Leuchtschilder DRUCK und FEUER auf, die sekundenlang mit unheimlicher Stroboskopwirkung die einzige Beleuchtung waren. Saint-Michael mußte seine plötzliche Desorientierung überwinden und sich zum Weitersuchen zwingen. Er bahnte sich vorsichtig einen Weg durch die Metall- und Plastiktrümmer, die jetzt das Modul anfüllten, und erreichte das dicke Plexiglasfenster der Luke des Skybolt-Moduls.
Ann schwebte schlaff wie eine Stoffpuppe etwa 20 Zentimeter unter der Decke. Ihr Sauerstoffgerät hing irgendwo neben ihrem Hals, aber Saint-Michael stellte erleichtert fest, daß sie ihre Maske trug. Sie bewegte sich nicht. Vor ihrer Stirn schwebten einige Tropfen Blut.
Er öffnete die Luke,
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