Die Silberne Festung
Großmanövern. Die Offensive…«
»Welche Offensive?« fragte Barnes.
»In einem CIA-Bericht, den wir vergangenen Monat erhalten haben, wird für diesen Herbst ein ungewöhnlich großangelegter russischer Vorstoß nach Afghanistan vorausgesagt.«
Barnes schüttelte den Kopf. »Für den CIA ist jeder Nachschubtransport nach Afghanistan schon eine Offensive. Die Straßen ins zentrale Hochland sind durch die lange Schlechtwetterperiode fast unpassierbar, und die afghanische Regierung beherrscht nur noch das Gebiet um Kabul. Natürlich müssen die Russen die Zahl ihrer Nachschubflüge erhöhen.«
»Aber nicht mit bis zu sechs Maschinen des Typs Kondor… Unsere Aufnahmen zeigen Hangars, die eine An-124 aufnehmen können…«
»Transporter des Typs Kondor? « Das hörte Sahl nicht gern. »Wo haben Sie die im südlichen Militärbezirk gesehen?«
»Auf ihren Einsatz habe ich aus Indizien geschlossen, Sir. Die in meinem Bericht erwähnten provisorischen Hangars sind groß genug, um diese schweren Transporter aufzunehmen.«
» Oder jeden anderen sowjetischen Flugzeugtyp«, warf Barnes ein. Collins sah weg – er hatte niemals damit gerechnet, sich seines Abteilungsleiters erwehren zu müssen.
»Weiter!« drängte Sahl. »In Ihrem Bericht heißt es, der Bahnverkehr in und um Taschkent sei um fast vierzig Prozent stärker als sonst. Wie steht’s damit?«
»Richtig, Sir, eine genaue Zählung hat im Vergleich zum Vorjahr, als Manöver angekündigt waren, eine Zunahme um siebenunddreißig Prozent ergeben – und im Vergleich zur letzten Großoffensive in Afghanistan, als die Russen den Kandaharaufstand niedergeschlagen haben, eine Zunahme um vierundzwanzig Prozent. Und das ist die größte sowjetische Offensive seit dem Einmarsch in der Tschechoslowakei gewesen. Was die Russen jetzt vorhaben, muß also noch größer sein…«
»Collins«, warf Barnes rasch ein, »solche Schlußfolgerungen können Sie nicht einfach aus der Zahl der Waggons auf einem Güterbahnhof ziehen.
Für ihre Vermehrung kann es Dutzende von Gründen geben… Hören Sie«, fuhr er freundlicher fort, »solche Berichte können eine Menge Dinge in Bewegung setzen. Dinge, die Unmengen Geld und Arbeit kosten. Gefährliche Dinge. Sie werden beachtet, wenn wir sie entsprechend vortragen.
Aber wenn wir uns täuschen und alle diese Männer und Maschinen einem Hirngespinst nachjagen lassen…«
Collins’ Gesichtsausdruck verhärtete sich. Er legte zwei 18 mal 24 Zentimeter große Schwarzweißfotos auf Sahls Schreibtisch. »Das hier können Sie nicht ignorieren, Mr. Sahl«, behauptete er und zeigte auf das erste Foto. Sahl betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen.
»Was…?«
»Das ist eine kontrastverstärkte KH-14-Aufnahme eines der beiden fast zehntausend Quadratmeter großen Hangars auf dem Militärflugplatz Nikolai Schukowski in Taschkent.«
Sahl betrachtete die stark vergrößerte Aufnahme. Hinter dem Hangar war ein unscharf abgebildeter rechteckiger Gegenstand zu erkennen. Die Einzelheiten blieben jedoch unscharf. Sahl blickte kopfschüttelnd zu Collins auf. »Hören Sie, das ist eine unbrauchbare Aufnahme.«
»Sir, dieses Foto zeigt eine Abschußrampe GL-25. Insgesamt…«
»Collins, das ist eine unbrauchbare Aufnahme«, wiederholte Sahl. »Vergrößerung, Kontrast, Grobkörnigkeit und Hintergrund – alles für eine Analyse ungeeignet. Die Aufnahme ist unbrauchbar.«
»Sir, ich habe auf dem Güterbahnhof Taschkent siebzig solcher merkwürdig aussehenden Waggons gezählt. Alle werden streng bewacht und sind zwischen Sicherheitswaggons eingestellt. Mir ist klar, daß dieses Foto kein schlüssiger Beweis ist, aber aufgrund früherer Erkenntnisse läßt sich kombinieren, worum es sich handeln muß: geländegängige Cruise-Missile-Abschußgeräte des Typs GL-25. Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie die beiden Behälter mit Marschflugkörpern…«
»Für mich ist das ein Zementsilowaggon«, warf Barnes ein. »Oder irgendein anderes Silofahrzeug. Jedenfalls nichts Ungewöhnliches.«
»Der KH-14 ist nicht richtig stabilisiert gewesen«, antwortete Collins, »aber trotzdem erkennt man…«
»Collins, solche Details sind auf einer unbrauchbaren Aufnahme nicht zu unterscheiden«, knurrte Barnes.
»Doch, Sir. Ich sehe sie ganz deutlich.«
»Auf jedem Foto sieht man, was man sehen will, wenn man’s lange genug betrachtet«, stellte Sahl ruhig fest. »Darum haben wir festgelegte Grenzen für Vergrößerungen und Formatänderungen solcher
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