Die Silberne Festung
das Fachwerk des unverkleideten Mittelkiels so weit ins All hinaus, daß seine Gitterträger kaum noch zu erkennen waren. Der 300 Meter lange und 15 Meter hohe quadratische Kiel enthielt riesige silberglänzende Treibstofftanks, Halterungen und Verstärkergehäuse für alle möglichen Antennen und kilometerlange Kabelstränge und Rohrleitungen. Auf seiner Unterseite waren die fußballfeldgroßen Antennen der phasengekoppelten SBR-Geräte montiert, die ständig die Erde absuchten. Beide Kielenden trugen je zwei Sonnenkollektoren, die doppelt so groß wie die Radarantennen waren: riesige, empfindliche, unglaublich dünn wirkende, auf die Sonne gerichtete Glasplatten.
»Auf der Erde würde jeder dieser Kollektoren achtzig Tonnen wiegen«, stellte Walker fest. »Hier oben sind sie natürlich gewichtslos. Wir benützen einen winzigen Elektromotor mit fünf Kilowatt Leistung, um sie der Sonne nachzuführen. Mit der gelieferten Energie können wir zwei Stationen versorgen. Solange die Station sich in der Sonne befindet, erzeugen sie direkt die Energie, mit der wir auch die Batterien unserer Notstromversorgung laden und Brauchwasser in Sauerstoff und Wasserstoff für unsere Brennstoffzellen und Lagekontrolltriebwerke zerlegen.«
»Liefern sie auch die Energie für Anns Laser?« fragte Baker ihn.
»Nein, leider nicht«, antwortete Ann an Walkers Stelle. »Für eine einzige Abstrahlung wäre das Zehnfache dieser Kollektorfläche erforderlich.
Deshalb benützen wir zur Stromerzeugung für den Laser einen kleinen MHD-Reaktor.«
Baker deutete auf ein Ende des Mittelkiels. »Die Lagekontrolltriebwerke sitzen auch dort draußen, nicht wahr?«
»Richtig«, bestätigte Walker. »Je fünf kleine Wasserstofftriebwerke an beiden Kielenden. Sie werden pro Tag gut zwanzigmal automatisch gezündet, um Fluglage, Bahnhöhe und Orbit der Station zu korrigieren. Darüber hinaus können sie die Station notfalls auf eine andere Bahn bringen.«
»Und den Treibstoff dafür gewinnen Sie aus Wasser?«
»Ganz recht. In unseren Elektrolysekammern wird Brauchwasser durch Solarenergie in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt, die in den Tanks dort draußen gespeichert werden. Etwa alle zwei Monate bringt eine Raumfähre uns frisches Wasser, und die mit Sauerstoff und Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen liefern Strom und ebenfalls Wasser. Im Notfall könnte eine aus zwanzig Mann bestehende Besatzung es hier oben sechs Monate ohne Nachschub von der Erde aushallen.«
Sie passierten den verglasten Tunnel und erreichten das nächste Modul.
Ann und Walker staunten über seinen riesigen Innenraum, der viel größer als das Kommando- oder Labormodul war.
»Dies ist ein komplettes Skylab-Modul – die erste Komponente der vor zwei Jahren ins All gebrachten ursprünglichen NASA-Raumstation«, erklärte Walker ihnen. »Dieses Stationssegment ist herauftransportiert worden, bevor die Shuttleflüge wieder aufgenommen worden sind. Wie Sie sehen, ist es so groß wie die dritte Stufe einer Saturn-Rakete; groß genug für unsere anfänglichen Experimente, aber heute natürlich zu beengt.
Nach der Wiederaufnahme der Shuttleflüge haben wir Silver Tower aus laderaumgroßen Modulen zusammengesetzt. Das Skylab-Modul dient uns jetzt als Unterkunfts- und Freizeitraum. Dafür bietet es reichlich Platz.«
»Das dort drüben muß Ihr Fitnessraum sein«, stellte Baker fest und zeigte in eine Ecke des Moduls.
»Mhhhmm, alles, was der Astronaut von heute braucht, um fit zu bleiben«, bestätigte Walker im Tonfall eines Jahrmarktanreißers. »Tretmühlen und Soloflex-Krafttrainer auf der einen, Heimtrainer auf der anderen Seite.
Dahinter die Videothek, die zugleich Computer- und Fernsehraum ist. Wir empfangen über zweihundert Fernsehprogramme aus aller Welt…«
Baker begutachtete einen der Krafttrainer. »Clever«, meinte er anerkennend. »Den Widerstand erzeugen starke Gummibänder. Mit Gewichten wäre hier natürlich nichts zu machen.« Er wandte sich der Tretmühle zu.
»Wie funktioniert die?«
»Wie jede andere – aber man schnallt sich zuerst diesen Gürtel aus Spiralfedern um, deren Spannung verstellbar ist, um den Widerstand zu vergrößern oder zu verringern. Der Skipper – General Saint-Michael – lebt praktisch in der Tretmühle. Mit seinem Trainingsumfang kann keiner mithalten, und dabei ist er dreiundvierzig Jahre alt.«
Sie gingen zum Schlafmodul hinüber, das aus zwei Dutzend doppelstöckigen Vorhangkojen bestand. An beiden Enden des Moduls
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