Die Silberne Festung
Moyer, ein Elektroniktechniker, anerkennend.
Ann gab keine Antwort.
»Sie sind heute sehr schweigsam.«
»Das Leben im Weltraum«, sagte Ann, »ist ganz entschieden nicht so herrlich, nicht der ›kosmische Höhenflug‹, den ich erwartet hatte.« Sie rieb sich ihren schmerzenden linken Trizeps. »Anfangs ist das Bewußtsein, im Orbit zu sein, sehr aufregend gewesen, aber der Reiz des Neuen ist längst abgeflacht.«
»Immerhin«, sagte Moyer, um sie ein bißchen aufzurichten, »tun wir etwas, das bisher erst ein paar hundert Menschen getan haben.«
Ann schien ihn gar nicht gehört zu haben. »Nehmen Sie zum Beispiel das Krafttraining. Ich laufe gern, aber Gewichte zu stemmen oder wie hier Gummibänder zu dehnen, ist mir noch nie sehr lustig vorgekommen.«
»Sie machen Ihre Sache aber gut.«
»Ich trainiere, um fit zu bleiben – und weil’s Vorschrift ist. Ich könnte stundenlang auf dem Heimtrainer oder in der Tretmühle bleiben, aber nach einer halben Stunde auf dieser Kraftmaschine bin ich soweit, daß ich lieber freiwillig die Kohlendioxidfilter wechseln, die Wände absaugen oder sonst was tun würde.«
Moyer nickte mitfühlend.
Ann streckte sich auf der Bank aus, legte sich die Stange auf die Brust…
und starrte sofort einen Handgriffen der Decke an, während sie ihre Atmung zu kontrollieren versuchte.
»Wird Ihnen noch immer schwindlig, Ann?«
»Verdammt noch mal!« sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Angeblich sollte sich das binnen weniger Tage geben. Aber es wird und wird nicht besser!«
Moyer ließ sie einige Zeit ruhig auf der Bank liegen, bevor er fragte:
»Besser?«
»Ja«, sagte Ann, blinzelte und holte mehrmals tief Luft. Sie versuchte, das Krafttraining fortzusetzen, aber ihr wurde sofort wieder schwindlig.
»Wollen Sie nicht für heute aufhören?« schlug Moyer vor, weil er merkte, daß es noch lange dauern würde, bis sie völlig akklimatisiert war.
»Glauben Sie, daß das okay wäre?« fragte Ann zweifelnd.
»Klar. Sie trainieren jetzt schon über eine Stunde. Das genügt für heute.«
Ann lächelte ihm dankbar zu und machte sich auf den Weg durch die Luke nach »unten« ins Schlafmodul.
Auf schlechtgelaunte Menschen konnte das Schlafmodul deprimierend wirken. Da die wirklichen Krachmacher der Raumstation – die vier Lagekontrolltriebwerke – fast 200 Meter entfernt an den Enden des Mittelkiels saßen, war es im Silver Tower immer sehr still. Aber in dem aufwendig isolierten und von der übrigen Station abgesetzten Schlafmodul war es noch stiller; trotz seiner Pflanzen und der hellen, freundlichen Atmosphäre erinnerte es an ein Mausoleum, und beim Anblick der aufeinandergestapelten Schlafkammern hatte Ann wieder einmal das Gefühl, sich in einem Sarglager zu befinden.
Ann verdrängte den Gedanken an Särge, holte ihren Bademantel und machte sich auf den Weg zu ihrer PHS, ihrer Persönlichen Hygienestation.
In der Schwerelosigkeit war ein Duschen kaum mehr als ein kompliziertes Waschen. Nachdem Ann eine Schutzbrille aufgesetzt hatte, die an eine Schwimmbrille erinnerte, befeuchtete sie einen Waschlappen mit Wasser.
Als sie den Wasserstrahl dann kurz auf ihren Körper richtete, bildeten die Wasserklumpen, die nicht nach allen Richtungen davonschossen, unheimliche amöbenartige Lachen. Diese Lachen krochen überallhin – ihren Rücken, ihre Beine, ihre Arme hinauf –, als hätten sie winzige Beine.
Als nächstes sprühte Ann etwas flüssige Seife auf ihren Waschlappen, seifte sich ein und spülte die Seife wieder ab. Pro Duschvorgang wurden etwa zehn Liter Wasser verbraucht; wer unter der Vakuumdusche stand, befand sich tatsächlich in Gefahr, in freischwebenden Wasserklumpen zu ertrinken, wenn sich mehr als zehn Liter Wasser in der Duschkabine befanden.
Bevor Ann die Tür öffnete und nach einem Handtuch griff, drückte sie auf einen wasserdicht verkleideten Knopf. Ein in den Kabinenboden eingebauter starker Ventilator saugte die umherschwebenden Wasserklumpen ab. Ann wischte einige hartnäckige Wasserlachen von den Wänden, nahm ihre Schutzbrille ab, öffnete die Tür und griff nach einem Handtuch. Dabei sah sie sich in dem großen Wandspiegel und betrachtete sich so prüfend wie vor drei Wochen im Gästehaus der Vandenburg Air Base. Für eine Frau war ein Aufenthalt im Weltraum geradezu Mord. Obwohl Anns Gesicht durch das tägliche Krafttraining schmal geblieben war, hatten Fettzellen und Gewebeflüssigkeit sich anders verteilt, so daß es leicht
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