Die silberne Göttin
lachend mit ihnen scherzte. Würde sie niemals wieder diese Leichtigkeit spüren? Die Fähigkeit, einfach nur zu leben und das Leben zu genießen?
Sechs Jahre.
Sechs lange, bittere, quälende Jahre.
Würde sie je frei sein?
Als sie ihn so beobachtete, bewegte Rob sich auf eine Gruppe von Gentlemen zu, deren Diskussion etwas laut geworden war. Iantha war sich sicher, dass Seine Lordschaft keinen Streit aufkommen lassen würde und dass er sehr wohl imstande war, die Ordnung in seinem Haus aufrechtzuerhalten. Selbst hier, von ihrem günstigen Beobachtungsposten in einer Ecke aus, konnte sie die Kraft spüren, die von ihm ausstrahlte, als er jetzt zu dem Kreis trat.
Der rundliche Bankier Welwyn und ein großer, grauhaariger Herr mit beeindruckendem Backenbart schienen der Mittelpunkt der Gruppe zu sein. Sie waren von einigen der jüngeren Herren, die Iantha am Vorabend getroffen hatte, umgeben. Sie erkannte den jungen Diplomaten Horace Raunds. Aus der Ähnlichkeit schloss sie, dass der Herr mit dem Backenbart sein Vater Lord Alton aus dem Innenministerium war. Dann war der schlanke, dunkle junge Mann mit dem Falkengesicht, den sie nicht kannte, wohl Mr. Welwyns Assistent Stephen Wycomb. Zwischen ihnen gab es bestimmt keine Ähnlichkeit. Und offensichtlich auch wenig Übereinstimmung.
"Also, Duncan." Lord Alton wandte sich an Rob, als dieser hinzutrat. "Unterstützen Sie uns bei dem, was wir diesen Jungen hier klar machen wollen: Napoleon ist eine Bedrohung der ganzen zivilisierten Welt."
"Aber Vater! Doch wohl kaum." Horace sprach in ernstem Ton. "Schauen Sie doch nur, was er auf dem Kontinent alles zu Stande gebracht hat." Er begann, seine Argumente an den Fingern abzuzählen. "Er hat Ordnung in das schlimmste Chaos gebracht. Er hat die Währung stabilisiert. Sein Code Napoleon hat nach Jahren der Ungerechtigkeit wieder Ordnung in die französische Gesetzgebung gebracht. Kaum eine Bedrohung für das zivilisierte Leben. Er …"
"Alles schön und gut, Raunds", unterbrach ihn der Bankier. "Aber was ist mit seinem Kontinentalplan? Seiner Absicht, England vom europäischen Markt auszuschließen? Das Ergebnis wäre für unser Handelsgleichgewicht katastrophal."
"Und noch dazu würde England die Möglichkeit verlieren, mit Hilfe seiner Finanzen Europa zu kontrollieren", betonte Lord Alton. "Mehr braucht Bonaparte nicht, um genügend Unterstützung für eine Invasion Englands zu erhalten."
Sein Sohn war entrüstet. "Auf die Dauer gelingt es keinem, sich Freundschaft einfach zu erkaufen."
Alton schüttelte den Kopf. "Aber es funktioniert, Horace. Englische Sitte und Moral ist viel besser dazu geeignet, die Angelegenheiten der Welt zu regeln, als die französische."
Rob seufzte innerlich. Wie kam es nur, dass die Engländer in seliger Dummheit so unfähig waren, über ihren eigenen Tellerrand hinweg zu sehen, obwohl ihnen an anderen Orten der Welt der ganze Reichtum der Kulturen und Information in Hülle und Fülle zur Verfügung standen? Er öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, als der jüngere Raunds wieder zu sprechen begann.
"Wie können Sie das sagen, Vater, wo wir doch einen König haben, der völlig verrückt ist, und einen Erben, der ihm darin kaum nachsteht."
"Genau das ist es!" Stephen Wycomb ergriff jetzt das Wort, und ein höhnischer Ausdruck lag auf seinem scharf geschnittenen Gesicht. "George und Prinny sind wirklich das seltsamste Paar, das sich finden lässt. Und wie viel Geld sie und ihre königlichen Herzöge ausgeben …! Wären da nicht noch unsere Kolonien, sie hätten uns schon langst in den Bankrott getrieben."
In diesem Punkt konnte Rob zustimmen. Er nickte. "Das ist gewiss wahr, Wycomb. Und wir werden unsere Kolonien nicht für immer ausbeuten können. Amerika haben wir schon verloren, und Indien werden wir eines Tages auch verlieren."
"Unsinn!" Lord Alton sah ihn entsetzt an. "Den Indern ist wohl kaum zuzutrauen, dass sie sich selbst regieren. Sie sind kaum besser als heidnische Wilde. Wir müssen …" Er unterbrach abrupt seine Tirade, als Vijaya, der wenige Schritte entfernt an der Wand lehnte, sich jetzt aufrichtete, wobei die Juwelen auf seiner Kleidung Lichtblitze verschossen, und seine strahlend blauen Augen auf den Sprecher richtete.
"Hört, hört!" Alle Herren blickten in die Richtung, aus der die neue Stimme kam. Cosby Carrock näherte sich der Gruppe. Seine schwankenden Schritte zeugten von der Menge Alkohol, die er im Laufe des Nachmittags bereits zu sich genommen
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