Die Silberschmiedin (2. Teil)
Hauses zu und zeigte ihm die Werkstatt.
«Dann zeig mal, was du kannst», sagte Meister Faber und wies David an, den Rohling für einen einarmigen Leuchter herzustellen.
Eva aber packte ihren Pokal aus und sann den ganzen Tag darüber nach, wie sie das Silber zum Sprechen bringen sollte, doch ihr wollte einfach nichts einfallen. Am Abend, als Meister Faber und Heinrich in die Innungsstube gegangen waren, Susanne ebenfalls das Haus verlassen hatte und von David weit und breit nichts zu sehen war, ging Eva noch einmal in die Werkstatt. Sie war noch immer auf der Suche nach einer Idee.
Suchend sah sie sich in der Werkstatt um. Am Rande des Tisches lag Davids Skizzenmappe. Evas Blick blieb daran hängen. Er ist unser Geselle, dachte sie. Er wird gut bezahlt. Seine Einfälle gehören uns. So war es ausgemacht.
Trotz dieser einleuchtenden Begründung sah sich Eva noch einmal nach allen Seiten um, dann prägte sie sich die Lage der Mappe sehr gut ein, bevor sie sie schließlich öffnete.
Was sie sah, ließ ihr den Atem stocken. Seltsame Blüten mit fleischigen Rändern rankten sich über das Papier. Blüten, die fast wie Körperteile von Menschen aussahen. Irgendetwas verursachte Eva Unbehagen, aber sie konnte nicht sagen, was genau es war. Ihre Kehle war trocken, sodass sie sich räuspern musste und das Blatt rasch zur Seite legte. Auf der nächsten Seite fand sie etwas, was sich auf dem Pokal der Hummelshainerin bestimmt sehr gut ausnehmen würde. Es waren Federn. Schlicht und einfach. Kleine, mittlere und große. Eva schüttelte den Kopf. Warum war sie nicht auf so einen Einfall gekommen? Sie holte ein Blatt Papier, zeichnete sorgfältig das Muster ab und brachte es am nächsten Tag mit dem Punzeisen auf den Pokal der Hummelshainerin.
Eine gute Arbeit war es, die sie da zustande gebracht hatte, doch es fehlte noch immer das innere Feuer. Sie konnte den Pokal einfach nicht zum Leuchten bringen! Wie, in Gottes Namen, schaffte es David? Was machte er anders als sie?
Der Geselle war mehrfach an ihrem Platz vorbeigeschlichen, doch Eva war es gelungen, ihre Arbeit vor ihm zu verbergen. Sie war zwar die Herrin der Werkstatt, und er wurde für seine Einfälle bezahlt. Trotzdem wusste sie, dass er bestimmt nicht damit einverstanden gewesen wäre, sein Federmuster auf Evas Arbeit zu finden. Sie verstaute den Pokal am Abend in einer Ecke und traute am nächsten Morgen kaum ihren Augen. Irgendjemand hatte über Nacht ihre Arbeit zu Ende gebracht, hatte dem Pokal Leben eingehaucht, ihn in eine einzigartige Kostbarkeit verwandelt. Die Federn wirkten leicht, so als ob sie jeden Moment davonscheben könnten. Verstärkt wurde dieses Motiv durch zwei Flügel, die rechts und links angebracht worden waren, sodass man bequem daraus trinken konnte.
Und Eva wusste auch, wer das gewesen war. Ihre Augen suchten seinen Blick. Doch David tat, als wäre nichts geschehen.
Von diesem Tag an verwandelten sich die meisten ihrer Arbeiten über Nacht von guten Handwerksstücken in Kunstwerke. Und ihr Name wurde in Leipzig ein Begriff. Die Silberschmiedin wurde sie genannt. Nicht irgendeine Silberschmiedin, sondern DIE.
Kapitel 6
«Eva, du kannst einem Gesellen doch nicht mehr Lohn zusichern, als der Meister bekommt! Was hast du dir denn dabei gedacht?»
Andreas Mattstedt, der nun beinahe jeden Abend im Haus in der Hainstraße verbrachte, schüttelte den Kopf.
«Ich weiß, es ist viel Geld. Aber er ist es wert.»
«Was macht dich so sicher?»
Eva zögerte mit der Antwort. Schließlich sagte sie leise:
«Meister Faber ist ein guter Goldschmied. Wir hätten keinen besseren finden können. Doch David kann mehr. Er versteht es, dem Silber Leben einzuhauchen.»
Mattstedt griff nach ihren Händen. «Aber Eva, das kannst du auch!»
Am liebsten hätte sie den Kopf geschüttelt und gesagt: «Nein, Andreas. Ich bin nicht die, für die man mich hält. Mein Ruhm ist Davids Verdienst.» Doch sie tat es nicht. Kein Wort kam über ihre Lippen. Niemand außer David sollte von ihrem Unvermögen wissen. Darum nickte sie nur und sagte leise: «Ach, das verstehst du nicht.»
Dann entzog sie ihm ihre Hände, ging zum Fenster und sah hinaus. Sie konnte ihm nicht in die Augen schauen.
Mattstedt schüttelte den Kopf, trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die Hüften.
«Nein, ich verstehe es wohl nicht, Eva. Aber ich werde mich immer bemühen, dich zu verstehen.»
«Ich weiß, Andreas», erwiderte sie. «Ich weiß es.»
Dann schloss sie die Augen und
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