Die Silberschmiedin (2. Teil)
seine Seele vermochte sie nicht zu entdecken.
Eva seufzte über ihr Unvermögen. Sie konnte das Silber nicht zum Sprechen bringen. Alles, was sie bisher zustande gebracht hatte, war solide Handwerkskunst. Doch jetzt kam das Schwierigste: die Zieselierung. Sie hatte ein paar Einbuchtungen für geschliffene Steine gelassen. Die Drähte, die Blattranken darstellen sollten, waren gezwirnt, die Korallen geschnitten, die Lorbeerblätter gegossen, verstiftet und verlötet. Aber egal wie sehr sie sich bemühen würde, das Entscheidende würde doch fehlen. Das wusste sie seit ihrem ersten Tag bei einem Silberschmied.
Es fehlte ihr an Schöpfertum und Wagemut. Gäbe es nicht das Musterbuch mit den italienischen Ornamenten, sie hätte nicht gewusst, wie sie die Rohlinge verzieren sollte.
Plötzliche Geräusche holten sie aus ihren Gedanken. Eva erschrak und lauschte in die Dunkelheit. Aus dem Lager, in dem das Brennholz und das Leder für die Futterale aufbewahrt wurden, kam ein Keuchen.
Sie ging langsam auf die Holztür zu, die nur angelehnt war, und stieß sie vorsichtig auf.
Geräuschlos öffnete sie sich einen Spalt und gab eine Szene frei, bei der es Eva den Atem verschlug. Beinahe wäre ihr das Licht aus der Hand gefallen.
Auf den Tuchballen in der Ecke lag Susanne. Und Susanne war nicht allein. Ein grobknochiger Mann beschlief sie. Sein weißer Hintern hüpfte auf und ab, doch das war es nicht, was Eva entsetzte. Es war Susannes Gesicht. Ihre Züge waren grotesk verzerrt, der Mund stand halb offen, und ein Röcheln und Stöhnen erklang daraus.
Eva fühlte, wie das Blut in ihre Wangen schoss, und schloss die Tür, bevor sie entdeckt wurde. Sie floh aus der Werkstatt, schöpfte erst Atem, als sie in der Sicherheit ihrer Schlafkammer war.
Sie würde bald verheiratet sein, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Mattstedt mit ihr genauso verfuhr wie der fremde Mann mit Susanne. Natürlich hatte die Mutter ihr erzählt, was sich nachts auf den Laken zwischen Mann und Frau zutrug, doch Eva hatte sich diese Sache, die man Beischlaf nannte, anders vorgestellt. Nicht so roh, so … so unbeherrscht.
Ja, tierisch war das richtige Wort. Susanne war so. Ein triebhaftes Tier. Und sie, Eva, wollte niemals so mit verzerrtem Gesicht und dunkler, heiserer Stimme unter einem Mann liegen. Eine Heirat mit Mattstedt schien ihr dafür die beste Gewähr zu sein.
Ein paar Tage später war der Pokal für die Hummelshainerin fertig. Alle Arbeiten waren verrichtet, der Pokal war in einer Weinsteinlösung gesiedet und vom Aufbereiter mit strahlendem Glanz versehen worden.
Eva machte sich selbst auf den Weg in das größte und prächtigste Patrizierhaus der Stadt in der Reichsstraße.
Die Hummelshainerin betrachtete das Stück von allen Seiten und verzog den Mund. «So hatte ich mir das nicht vorgestellt», klagte sie und knallte den Pokal vor Eva auf den Tisch.
«Wieso? Was ist damit?»
Eva nahm das Stück in die Hand und betrachtete es von allen Seiten. Sie konnte keinen Kratzer, keine trübe Stelle entdecken. Die Steine saßen fest in den Ausbuchtungen und wurden von kleinen Silberkrallen gehalten, die Verzierungen waren ordentlich angebracht und verlötet.
«Es fehlt etwas daran», teilte die Hummelshainerin mit. «So will ich ihn nicht. Nehmt ihn wieder mit und lasst den Meister daran arbeiten. Dem Pokal fehlt Feuer. Es ist kein Leben drin, versteht Ihr? Ein toter Gegenstand, der aussieht, als käme er von einem Kannengießer. Ein Stück, das sich nicht von anderen unterscheidet.»
Eva nickte und seufzte. Sie wusste, dass sie das, was der Hummelshainerin am Pokal fehlte, nicht erzeugen konnte.
Dennoch verstaute sie den Pokal im Futteral und versprach, das gewünschte Feuer herzustellen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte.
Zurück zur Hainstraße nahm sie den Weg über den Markt. Sie hätte auch durch die Böttchergasse gehen können, das wäre schneller gewesen, aber irgendetwas trieb sie zum Markt.
Erst als sie David an einer Ecke sitzen und die Leute zeichnen sah, wurde ihr klar, warum sie hier war.
Sie ging zu ihm und baute sich vor ihm auf: «Wir brauchen noch einen guten Gesellen. Habt Ihr Lust, für mich zu arbeiten?»
«Oh, ich glaube Euch gern, dass Ihr mich als Knecht haben wollt. Doch ich sagte schon, dass ich niemandes Knecht bin.»
«Redet keinen Unsinn. Ich suche keinen Knecht, sondern einen Gesellen.»
«Ihr sucht einen Untertan. Es ist gleich, ob Ihr ihn
Weitere Kostenlose Bücher