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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Wolken hingen wie schwere, graue Tücher über den Dächern
und nahmen der Stadt ihren Glanz. Eva aber war bester Laune. Sie trug das Kettchen um den Hals, berührte es hin und wieder, als wolle sie sich versichern, dass David ihr auf diese Art nahe war.
    Obwohl es noch sehr früh war, eilten sie und Adam bereits die Hainstraße entlang, bogen nach rechts in den Brühl ein und erreichten schließlich linker Hand die Hallische Gasse, die zum Hallischen Tor und an der Wach- und Zollstelle vorbei hinaus aus der Stadt führte.
    Hier, hinter den Stadtmauern, wohnten die Ärmsten der Armen. Die Gerber hatten ihre Katen am Ufer des Flüsschens Parthe aufgeschlagen. Daneben wohnten die Färber, die Wäscherinnen, der Henker und Scharfrichter, die Abdecker, Abortreiniger, die Verfemten und die Tagelöhner. Fahrendes Volk hatte seine Planwagen am Flussufer aufgeschlagen, eine junge Frau mit sehr brauner Haut und schwarzem Haar bürstete einen Umhang aus und rief ihnen Worte in einer fremden Sprache zu.
    Auch das Hurenhaus, das unter der Aufsicht des Henkers stand, befand sich hier. Davor standen zwei grell geschminkte junge Frauen und bewarfen Hunde, die sich um einen verfaulten Kohlstrunk balgten, mit Steinen.
    Eva sah sich um. Die windschiefen Katen duckten sich eng aneinander, ein paar magere Hühner kratzten auf der vergeblichen Suche nach Körnern im Lehm, eine dürre Katze strich miauend um Evas Beine. Am Rande der Gasse spielten ein paar Kinder in zerrissenen, schmutzigen Kleidern. Es roch nach Kot und Urin, den die Bewohner einfach auf die Straße schütteten, dazwischen hing der Aasgeruch aus den Gerbereien, die die Gerblohe mit Hundekot und Taubendreck ansetzten. Fliegen schwirrten in dichten Schwärmen umher, ab und zu rannte eine Ratte über die Straße und verschwand zwischen den Katen. Aus einer offenen Tür drang das Gekeife einer Frau, kurz darauf stürzte ein weinendes Kind mit grindigem Kopf auf die Gasse.
    Eva setzte behutsam einen Schritt vor den anderen und war gottfroh, dass sie heute die Trippen, kleine Klötze aus Holz, unter ihrem Schuhwerk befestigt hatte. Mit gerafften Kleidern schritt sie durch den Lehm und bemerkte die offenen Mäuler der Kinder nicht, die ihr staunend hinterhersahen.
    Nach ein paar Metern blieb Eva stehen und sah sich um. «Noch nie zuvor in meinem Leben war ich in solch einem Viertel», sagte sie, und Entsetzen lag in ihrer Stimme.
    «Hast du Angst?», fragte Adam. «Die Leute mögen arm sein, doch sie sind nicht schlechter als die Reichen.»
    Eva schüttelte den Kopf. «Mich schreckt der Dreck und das Elend. Wo sollen wir hier einen Lehrling finden?»
    Ein altes Mütterlein mit zahnlosem Mund und unzähligen Falten im Gesicht schlurfte langsam auf Eva zu. Auf dem Rücken trug sie einen löchrigen Weidenkorb, in dem ein paar Äste und ein wenig Moos lagen.
    «Habt Ihr Euch verlaufen, Herr?», fragte sie, an Adam gewandt, und kicherte dabei.
    Adam schüttelte den Kopf, während Eva die Alte betrachtete, die mit ihren gichtigen Händen nach dem Stoff ihres Kleides fassen wollte. Erschrocken trat Eva einen Schritt zur Seite und fasste nach Adams Arm.
    «Meine Schwester sucht ein Kind, welches bei ihr in die Lehre gehen will», erwiderte Adam schließlich. Die Alte brach in heulendes Gelächter aus. «Seid Ihr verrückt, oder hat Euch der Herrgott persönlich geschickt?», fragte sie. «Niemand hier hat einen ehrlichen Geburtsschein. Niemand hat das Bürgerrecht, denn sonst würden wir innerhalb der Stadtmauern leben. Seid Ihr gekommen, um uns zu verhöhnen?»
    Die Alte kniff die wasserblauen, blutunterlaufenen Augen zusammen und sah argwöhnisch zu Eva auf.
    «Nein. Ich spotte nicht. Eine Silberschmiedewerkstatt in der Hainstraße gehört mir, und ich suche einen Lehrling», antwortete Eva mit fester Stimme.
    «Wenn Ihr nicht verrückt seid, dann hat Euch wirklich der Herrgott geschickt.»
    Die Alte legte den Kopf schief, dann sprach sie weiter: «Ihr seht nicht aus wie eine Verrückte. Vielleicht seid Ihr mit Dummheit geschlagen, doch das ist Eure Sache. Geht zum Henker. Seine Frau ist gestorben und hat ihn mit zwölf hungrigen Mäulern allein gelassen. Dort findet Ihr bestimmt jemanden, der froh ist, aus der Gerberstraße wegzukommen.»
    Die Alte schüttelte den Kopf, dann schlurfte sie weiter, blieb jedoch nach jedem Schritt stehen und sah den Geschwistern nach, die sich durch den Lehm kämpften.
    Schließlich standen sie vor der Kate, die aus Lehm und Stroh bestand und deren

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