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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Tür nur lose in den Angeln hing. Ohrenbetäubender Lärm kam aus dem Inneren. Kinder weinten und schrien, dazwischen versuchte eine Männerstimme barsch Ordnung zu schaffen. Adam klopfte energisch gegen die Tür, doch niemand hörte sie. Also gingen sie einfach hinein.
    Die Kate bestand aus einem einzigen Raum. In einer Ecke lagen Strohsäcke auf dem Boden, darauf zwei kleine Kinder, die zu schlafen schienen. Ein hölzerner Tisch stand in der Mitte des Raums, um ihn herum saßen weitere Kinder und ein Mann. Ein etwa vierzehnjähriges Mädchen verteilte eine wässrige Suppe in die einfachen Holzschüsseln, ein anderes Mädchen war mit dem Feuer beschäftigt.
    Auf der anderen Seite des Raumes stand ein hölzerner Verschlag, in dem ein paar Hühner durcheinander liefen und ein zum Gotterbarmen mageres Schwein in den Ecken schnüffelte. Ein unbeschreiblicher Gestank herrschte hier, sodass Eva kaum zu atmen wagte. Ihr war unbehaglich zumute. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, stets darauf bedacht, auf der schmierigen gestampften Erde, die hier als Boden diente, nicht auszurutschen.
    «Grüß Euch Gott», sagte Eva in den Lärm hinein und wäre wohl wieder nicht gehört worden, hätte der Mann nicht zufällig in ihre Richtung geblickt.
    «Ruhe, zum Teufel noch eins!», schrie er mit Donnerstimme, stand auf und ging auf die beiden Besucher zu.
    «Was führt Euch zu mir?», fragte er. «Wozu benötigen Herrschaften, wie Ihr es seid, einen Scharfrichter? Oder kommt Ihr wegen der Huren?»
    Eva schüttelte den Kopf.
    Der Mann flößte ihr Furcht ein. Sie wusste nicht, ob es an seiner Erscheinung oder an seinem Beruf lag. Er war nicht besonders groß und älter, als sie es sich vorgestellt hatte. Unauffällig sah Eva auf seine Hände. Hände, die mit einem Schwertstreich Köpfe abgetrennt hatten. Hände, die Schlingen geknüpft und Scheiterhaufen entzündet, die gerädert, geteert und gefedert, gepfählt, gestochen, gebrannt und gebrochen hatten. Hände mit abgebissenen Nägeln und Fingern, die viel zu feingliedrig und schmal wirkten, als dass man damit Menschen quälen konnte.
    «Also, was wollt Ihr?», wiederholte er seine Frage ungehalten. Adam wollte antworten, doch Eva legte ihm eine Hand auf den Arm und bedeutete ihm zu schweigen.
    Sie sah dem Henker fest in die Augen und sagte: «Fragen wollt ich Euch, ob Ihr nicht einen Jungen habt, den Ihr zu mir in die Lehre schicken wollt.»
    Der Henker starrte sie ungläubig an. Ein ungefähr dreizehnjähriges Mädchen hatte sich zu ihnen gesellt und das kurze Gespräch verfolgt.
    «Nehmt mich!», sagte sie und drängelte sich vor Eva.
    Eva sah sie an und lächelte. «Du weißt doch gar nicht, für welches Handwerk ich einen Lehrbuben suche.»
    Das Mädchen zuckte mit den Achseln. «Das ist mir gleichgültig. Ich möchte alles lernen. Alles.»
    «Warum?», fragte Eva. «Du solltest heiraten und Kinder bekommen.»
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Wen soll ich heiraten? Den Sohn des Abdeckers vielleicht? Oder das Hurenbalg aus dem Frauenhaus? Nein. Ich möchte lernen und eine Bürgersfrau werden. Außerdem kann ich nicht heiraten, weil ich nur eine halbe Seele habe.»
    Jetzt mischte sich der Henker ein: «Halt den Mund! Du kannst nicht gehen. Bist ein Zwilling. Gäbe ich dich weg, so verlöre deine Schwester einen Teil ihrer Seele.»
    Eva sah ihn erstaunt an: «Ihr habt Zwillinge?»
    Der Henker nickte: «Ich weiß nicht, warum Gott uns so gestraft hat. Zwillinge, Brut des Teufels! Meine Frau ist nie darüber hinweggekommen. Und doch haben wir ihnen alles gegeben, was nötig war. Wisst Ihr, Herrin, wie schwer es ist, dafür zu sorgen, dass Zwillinge, denen der Herrgott eine gemeinsame Seele gegeben hat, zusammenzuhalten?»
    Er seufzte. «Verheiraten werde ich sie wohl nie. Wie auch? Sie müssen doch beieinander bleiben. Weiß der Himmel, was aus ihnen wird, wenn ich nicht mehr bin.»
    Er sah in die Richtung, in der das Frauenhaus lag, und Eva ahnte, was er dachte.
    Das Mädchen war zum Tisch gegangen, und jetzt erst sah Eva, dass dort ihr Spiegelbild saß. Adam war fasziniert und betrachtete die beiden Mädchen mit großem Interesse. Ja, er setzte sich sogar dazu und studierte beider Gesichter, als hätte er noch nie Kinder gesehen.
    «Wie heißen die Mädchen?», fragte er den Henker.
    «Wir hatten Glück», erwiderte der Scharfrichter. «Sie sind am 25. Tag nach Weihnacht geboren. An diesem Tag haben zwei Heilige ihren Namenstag: Priska und Regina. So haben wir sie

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