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Die Sirenen von Kalypso

Die Sirenen von Kalypso

Titel: Die Sirenen von Kalypso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Werning
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ein Geschenk. Es sondierte und analysierte, es sammelte und verwertete, es horchte und lauschte.
    Kannst du mich hören? riet die Gedankenstimme des Novizen.
    Die Antwort bestand aus einem unverständlichen Symbolstrom. Der Novize begriff, daß die Magische Abschirmung der Orchidee zu stark war, als daß er sie durchdringen konnte. Er ließ sich nichts anmerken. Aber tief in seinem Innern herrschte Aufruhr, denn es bedeutete, daß er die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllen konnte. Die Informationen, die die Orchidee gesammelt hatte, waren unzugänglich für ihn. Das Auffinden der fehlenden Extrapolationsfaktoren war somit unmöglich.
    Kannst du mich hören, Geschöpf der Anderen Welt? Antworte mir. Berichte!
    Der Symbolstrom verstärkte sich für einen Augenblick, bevor die Schwellenbarriere aus einer nahen Magischen Quelle wieder verstärkt wurde. Der Novize empfing einen Namen: Tajima Nimrod. Mehr konnte er nicht verstehen. Es mußte ausreichen.
    In den weiten Gärten, die die Zentralfeste der Ohtanis umgaben, empfing sie der heiße Strahlenglanz des Höllenfeuers.
    »Ich danke dir für deine Hilfe, Patriarch«, sagte der Novize und neigte den Kopf.
    »Ich danke dir für deinen Besuch und dein Vertrauen«, antwortete Karamanash Ohtani traditionsgemäß.
    Der Novize wandte sich daraufhin um und trat den langen Rückweg an. Er spürte den Blick des Patriarchen in seinem Rücken.
     

 
6.
     
    Die Welt ist nicht das, was sie zu sein scheint. Vieles ist anders, als ein menschliches Auge es zu erkennen vermag. Vertraue nicht dem, was deine Sinne dir zu suggerieren versuchen. Vertraue nur der Stimme deines Ichs und den Kräften derer, die sind.
    Prophetenschule, Leseitis
     
    Wenn du nach Sudmar gehst, dann verschließe deine Augen vor dem, was du dort antriffst. Verriegele deinen Geist. Beachte das Elend nicht und die Armut und den allgegenwärtigen Tod. Und sei froh, daß du auf Leseitis geboren wurdest, der besten aller Welten. Hüte dich auch, Reisender. Denn die Gefahren, die von Außenwelt nach Sudmar gelangten, sind andere, als die, die du kennst. Sie mögen sich als tödlich erweisen, wenn deine Wachsamkeit nachläßt.
    Allgemeinweisheit auf Leseitis
     
    Die ersten Anzeichen, die auf die Nähe der Stadt hindeuteten, waren die Warnsteine am Wegesrand. In den Hieroglyphensymbolen der Standard-Modifikation, die Lystra inzwischen zu lesen gelernt hatte, stand geschrieben:
    Weißt du, wohin dein Weg dich führt, Reisender? Nach Sudmar, der Außenweltstadt. Überlege, ob deine Füße dich in die richtige Richtung tragen, Reisender. Überlege, ob das, was du zu tun beabsichtigst, notwendig ist. Wenn nicht, dann halte dich von Sudmar fern, Leseitisgeborener. Denn in Sudmar erwartet dich Schmutz.
    »Nun«, murmelte die Geschichtenerzählerin. »Ich bin keine Leseitisgeborene. Auch wenn ich mich nur wenig von den hier Geborenen unterscheide.«
    Sie schritt weiter, den Kopf stolz erhoben. Doch in ihrem Innern war Leere. Sie hatte die Aufgabe erfüllt, die man ihr auferlegt hatte. Widerwillig und voller Ekel sich selbst gegenüber. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt. Nur ein einziger Fehler … doch dieser Fehler war entscheidend gewesen. Sie hatte in einem unaufmerksamen und unkonzentrierten Augenblick das Wissen um den Ort des Mreydtors und die Welt Kalypso offenbart.
    In der Ferne erhoben sich die Türme des Raumhafens. Wehmut erfüllte Lystra für einen Augenblick. Wie viele andere war sie aus einem ganz bestimmten Grund nach Leseitis gekommen: auf der Suche nach innerem Frieden und der Macht der Geistesstimme. Der Ruf der Magie, der von Leseitis ausging, hatte viele Außenwelten erreicht. Doch die, die kamen, wußten nicht, was sie erwartete. Die meisten gingen in den Straßen Sudmars zugrunde. Und die, die überlebten, die das Chaos in ihren Gedanken überstanden, wurden entweder zu Freien Propheten … oder zu Mentalsklaven derjenigen, die in Sudmar ein Zuhause gefunden hatten. Lystra war es ähnlich ergangen. Wenn auch in ein wenig abgewandelter Form.
    Sie schritt weiter. Bettler hockten am Wegesrand, manche blind, andere verkrüppelt, wieder andere sterbend. Hände wurden ihr entgegengestreckt, flehende Worte gemurmelt:
    »Eine Münze. Eine einzige Münze nur, Werte Dame.«
    Sie blickte starr geradeaus. Sie hatte nichts. Nur sich selbst. Und das Feuer in ihrem Innern, das nun stärker zu brennen begann, je näher sie Sudmar kam. Ihr Weg führte sie an Baracken vorbei. Müll türmte sich an den Wänden aus

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