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Die Sirenen von Kalypso

Die Sirenen von Kalypso

Titel: Die Sirenen von Kalypso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Werning
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rostigem Blech und Wüstenlehm. Die weinenden Stimmen von Kindern drangen an ihre Ohren. Es kümmerte sie nicht. Ihre Augen begannen zu tränen, als sie an den Schwefelminen vorbeikam. Die Hitze war unerträglich.
    Für einen Augenblick blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken. Das Höllenfeuer senkte sich dem Horizont entgegen. Bald mußte die Dämmerung der Zwischennacht einsetzen. Es war besser, dann die Innenbezirke Sudmars erreicht zu haben. Sie setzte sich wieder in Bewegung, ein wenig schneller diesmal, und sie wehrte die Hände der Bettler und Taschenspieler ab. Musikanten spielten an Wegkreuzungen. Ihre dürren Finger glitten über Saiten und die Sensorpunkte von Synthesizern. Einst hatte Sternenglanz sich in ihren Augen gespiegelt; jetzt waren ihre Blicke trüb.
    Lystra eilte weiter. Bald schimmerten ihr die Lichter der Suggestivwerbungen entgegen, und das Bild der Stadt wurde freundlicher. Scheinbar nur, denn hinter den leuchtenden Fassaden der verschiedenen Etablissements wartete eine andere Form des Elends. Nicht mehr weit jetzt. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Das Gedränge auf den Gehsteigen nahm zu, und auf den breiten Straßen glitten schwere Schwebwagen dahin. Neugierige Augen betrachteten sie. Ihre Arme begannen wieder zu zittern. Vor drei Tagen hatten die Entzugserscheinungen eingesetzt. Sie kamen jetzt in Intervallen und waren mal stärker, dann wieder schwächer. Wieviel Zeit blieb ihr noch? Vielleicht drei weitere Tage. Danach … ein langsamer, qualvoller Tod, den nicht einmal ein Leseitisheiler aufzuhalten vermochte, denn das Gift, das ihren Körper zu zersetzen begonnen hatte, stammte nicht von dieser Welt.
    Sie wechselte in eine Seitengasse. Erotikdamen kauerten in Nischen und zitterten in der mit der Zwischennacht herankriechenden Kälte.
    »Willst du ein paar Stunden der Freude und der Ruhe genießen?« fragte eine Duosexuelle verführerisch. Lystra schüttelte angeekelt den Kopf und eilte weiter. Die Erotikdame schickte ihr Schmähungen hinterher.
    Schließlich erreichte sie das Haus. Die Wände waren schief, und der Putz bröckelte in großen Fladen ab. Knarrend schwang die Tür auf, als sie den Öffner betätigte. Im Innern war es stockdunkel. Mit zitternden Armen und Beinen tastete sie sich die Stufen der ausgetretenen Treppe empor. Auf dem zweiten Absatz blieb sie stehen und klopfte an die hölzerne Tür. Die Musik dahinter verklang; schlurfende Schritte kamen näher. Lystra kniff die Augen zusammen, als die Tür geöffnet wurde und helles Licht sie blendete.
    »Aha«, machte der Derianer und trat zur Seite. Seine Hände streichelten die Wangen Lystras. Das Feuer in ihrem Innern brannte heller. Sie schlug die Arme zur Seite, trat ein und warf die Tür ins Schloß. Der Derianer lächelte. Sie haßte dieses Lächeln.
    »Ich habe getan, was du mir aufgetragen hast.«
    »Ich weiß.«
    »Dann hast du bereits alles vorbereitet?« Ihre Augen tränten wieder. Sie schluckte. Der Schmerz in ihren Eingeweiden war nahezu unerträglich.
    »Was vorbereitet?«
    Sie hämmerte mit beiden Fäusten auf die breite Brust des Derianers. Er lachte.
    »Du weißt verdammt genau, was. Ich brauche es. Ich brauche es jetzt. Ich habe all das getan; was du mir gesagt hast. Du hast es versprochen.«
    »So.« Er versah sie mit einem sonderbaren Blick und ließ sich dann in eins der fleckigen Sitzelemente sinken. »Habe ich das?«
    »Du bist ein ganz mieser …«
    »Ja?«
    »Entschuldige bitte.« Sie schluckte. Sie hielt es kaum noch aus. »Ich … ich habe es nicht so gemeint.«
    Er sah sie nur wortlos an.
    »Gibst du es mir jetzt?«
    »Was, mein Schatz?«
    »Das … Gegengift.« Der Schmerz intensivierte sich. Sie krümmte sich zusammen. In ihrem Magen explodierte eine Supernova. »Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt bist du dran.«
    Er erhob sich. Das Lächeln löste sich auf. »Ja, du hast deinen Teil erfüllt. Es ist nur recht und billig, wenn ich dir das Antimittel gebe.« Sie keuchte, während er zu einem Schrank schritt, eine Schublade öffnete und eine Injektionspistole daraus hervorholte. »Weißt du, Geschichtenerzählerin, irgendwie bist du mir sogar sympathisch. Du bist dumm gewesen, als du auf Leseitis ankamst.« Er prüfte die Ladung der Pistole. »Dumm und naiv. Vielleicht hat sich das jetzt geändert. Jetzt weißt du, wie es in Sudmar zugeht. Du wirst dich vorsehen.«
    »Ja. Ich werde mich vorsehen.«
    »Du hast mir vertraut.«
    »Das habe ich.« Jede Silbe schmerzte in

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