Die Sirenen von Kalypso
keine Außenweltlerin?«
»Doch, Tajima. Ich wurde auf einer anderen Welt geschaffen, die sehr weit von Leseitis entfernt ist. Ich bin ein Realsimulacrum.«
Er beobachtete sie.
»Wie kann eine Maschine essen wie ein Mensch? Und wie ist sie in der Lage, eine Gedankenstimme einzusetzen?«
Sie lächelte zaghaft. Es ging ihr schon wieder wesentlich besser. »Ein Realsimulacrum ist mehr als eine Maschine, Tajima. Es ist eine Synthese zwischen Mensch und Technik.« Sie deutete auf ihren Körper. »Du hast in mein Inneres geblickt, Soldat, aber du hast nicht alles gesehen. Das Hirn, Sitz meines Verstands, ist organisch, künstlich gewachsen wie auch deins. Ich bin wie du ein Kunstmensch. Mit dem einen Unterschied, daß mein Körper nicht nur aus Synthofleisch besteht, sondern auch aus elektronischen Schaltkreisen.«
Ihr Gesicht verfinsterte sich. Aus einem Reflex heraus murmelte sie ein Schaltwort, das die Hitze des Höllenfeuers verdrängte und Kühle heransickern ließ.
»Weißt du, Soldat, die Kunst der Hybridisierung und Genverschmelzung ist hier auf Leseitis zur Vollkommenheit entwickelt worden. Sicher hängt das mit der Stärke der Magie zusammen. Aber was hier die Genverschmelzung ist, das ist in der Außenwelt die Technik der Realsimulacren. Verstehst du?«
Er runzelte die Stirn. Es war schwierig. »Vielleicht …«
»Nun«, fuhr Rovaria nachdenklich fort, »es gab einen reichen Mann auf einer reichen Welt. Er gab mich bei einem entsprechenden Institut in Auftrag. Ich war teuer, Tajima, aber dieser Mann konnte den Preis zahlen. Ich bin ein spezielles Realsimulacrum. Ich besitze einen Unendlichkeitsspeicher. Das bedeutet, daß ich besonders lern- und aufnahmefähig für neue Informationen bin. Mein Herr nahm mich mit. Die Reise führte uns hierher nach Leseitis. Ich mußte die Prophetenschule besuchen. Mein Herr hatte vor Jahren schon einmal versucht, die Kraft der Magie zu kosten, aber er hat sich als minderbegabt herausgestellt. Was ihm versagt blieb, sollte ich nun absolvieren. Ich war erfolgreich, denn das Institut hatte mich auf diese Aufgabe vorbereitet. Ich war die beste Schülerin, die die Prophetenschule seit langem gehabt hat. Aber mit der Magie kam auch gesteigerte Erkenntnis …«
»Ich beginne zu begreifen …«, sagte Tajima. Die Kälte verschwand wieder aus seinem Innern. Er glaubte zu verstehen, was in Rovaria vorgegangen war. Der Funke der Erkenntnis, der auch in ihm glomm und ihn unruhig machte. Das andere, das den Betreffenden nicht zur Ruhe kommen ließ. Die Erkenntnis, ein Unfreier zu sein.
»Ich bin ein Realsimulacrum, dazu geschaffen, erotische Freude zu schenken. Mein Herr genoß meine neuen Eigenschaften. Er spielte mit meinen Magischen Kräften, und so manches Mal zwang er mich zu Dingen, die in der Prophetenschule auf Abscheu stoßen. Er zwang mich dazu, mit den Geschöpfen der Anderen Welt zu spielen. Einmal ging er zu weit, und einem Nachtdämonen gelang es, die Schwelle zu durchdringen. Der Schock brachte meinen Herrn um. Ich konnte das Geschöpf in seine Welt zurückschicken. Aber ich konnte den Tod meines Herrn den Behörden nicht erklären. Ich hatte einen Fehler gemacht, aber mein Herr hatte mich dazu gezwungen. Niemand hätte mir diesen Sachverhalt geglaubt. Ich wäre als außer Kontrolle geratenes Realsimulacrum eingestuft und demontiert worden. Also floh ich.«
Tajima nickte. Er verstand nun immer besser, denn es waren seine eigenen Empfindungen, die Rovaria ihm schilderte. Ob Metall oder Kunstfleisch, nur die Existenz war wichtig. Und die Fähigkeit, zu denken und zu begreifen. Die Art des körperlichen Seins war nicht von Bedeutung.
»Ich tauchte in Sudmar unter. Meine in der Prophetenschule erlernten Fähigkeiten waren sehr hilfreich. Ich lernte weiter, immer mehr. Ich lernte, mich in einer Welt des Elends, des Schmutzes und der Hinterhältigkeit zu behaupten. Und eines Tages traf ich mit einer Geschichtenerzählerin namens Lystra zusammen.«
»Hm«, machte Tajima. Er berührte die Wangen Rovarias. Sie waren so warm wie die seinen. Sie war ein Mensch. Er verabscheute sich für die Sekunden des Zweifels. Und er wußte in diesen Augenblicken nicht, wer schlechter dran war: er, der Soldat auf der Suche nach Antworten und dem Sinn des Seins, oder sie, das Realsimulacrum auf der Flucht.
»Wir lernten uns kennen und schätzen. Ich erzählte ihr meine Geschichte, und sie sprach von einer Möglichkeit, mir zu helfen. Sie sagte, ich solle Sudmar verlassen und zur
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