Die Sirenen von Kalypso
führt euch in dieses Land, Reisende? Kennt ihr seine Gefahren?«
»Wir haben ein fernes Ziel«, antwortete Tajima. Etwas in ihm spürte, daß ihnen von dem blinden Propheten keine Gefahr drohte. Er verstaute den Platzkristall wieder in der Tasche. »Um es zu erreichen, müssen wir das Land-das-niemand-kennt durchqueren.«
»Also kennt ihr die hier lauernden Gefahren nicht?«
»Nein. Aber wir sind vorsichtig. Und meine Begleiterin ist ebenfalls der Gedankenstimme mächtig.«
Die blinden Augen richteten sich auf Rovaria. »Du stammst nicht von dieser Welt, nicht wahr? Eine Außenweltlerin, eine Fremde auf Leseitis, und noch dazu kein Mensch aus Fleisch und Blut. Der Gedankenstimme mächtig, ja. Aber reicht das aus, um Erfahrung zu ersetzen? Kennt ihr die Wüstenleute, die in den Langnächten ihre Sandburgen verlassen, um auf Beutesuche zu gehen? Nein. Oder kennt ihr die Düsterschatten, deren Atem den Tod bringen kann? Auch nicht. Und sicher wißt ihr auch nicht um die Gefahren der Stickstoffstrudel weiter im Süden. Selbst deine elektronischen Sinne, Außenweltlerin, können diese Todeswirbel nicht wahrnehmen. Ihr seht also …« Er breitete die Arme aus, »nicht ich bin der Blinde, ihr seid es, denen das Augenlicht fehlt.«
Tajima und Rovaria sahen sich an.
»Und das ist noch nicht alles«, fuhr der Freie Prophet fort. »Eine weitere Gefahr lauert hinter euch. Wißt ihr, daß ihr verfolgt werdet?«
»Von wem?« fragte Tajima sofort.
»Es tut mir leid, aber das kann ich nicht feststellen. Die Entfernung ist noch zu groß. Und außerdem scheinen es Geschöpfe zu sein, die selbst ich noch nie gesehen habe.«
»Hybriden?«
»Vielleicht. Ja, ziemlich sicher sogar.«
»Einsamer«, sagte Rovaria langsam, »kannst du uns einen Weg der Mindergefahr durch das Niemandsland zeigen? Einen Weg, der uns schnell und sicher zum Ziel führt?«
»Ihr wollt zum Mreydtor, nicht wahr?«
Tajima hielt unwillkürlich den Atem an.
»Ja«, sagte Rovaria.
»Du bist ehrlich, eine wertvolle Gabe in einer Welt der Schlechtigkeit. Aber es ist auch gefährlich, in einer solchen Welt ehrlich zu sein. Nun … ich weiß einen solchen Zug zu schätzen. Zum Mreydtor. Ja, es ist weit, einsame Reisende. Und vielleicht wäre es auch besser, den Mantel der Vergessenheit, der dieses Tor zum Draußen bedeckt, nicht zu berühren.«
»Wir haben keine andere Wahl.«
»Ich weiß. Ja, ich kenne einen Weg der Mindergefahr. Zweihundert Kilometer weiter südlich leben die Quallenreiter, ein Volk, das Frieden und Ruhe liebt. Eine Wolkenqualle könnte euch über die Gefahren des Wüstenlands hinwegtragen und euch das Ziel schneller erreichen lassen.«
»Zweihundert Kilometer«, murmelte Tajima. »Es ist weit.«
»Aber nicht sehr weit. Mein Wüstenfreund bewältigt diese Strecke in wenigen Stunden. Wenn ihr wollt …«
»Auf dem Rücken des Mantas?« fragte Tajima unsicher. »Unter dem Boden der Wüste?«
»Warum nicht? Hast du Angst, junger Freund?«
Der blinde Prophet schritt zum wartenden Manta zurück und holte zwei weitere Schutzkutten aus einer Tasche. Rovaria und Tajima zogen sie schweigend über.
»Nun gut«, sagte Tajima. »Werden wir also ebenfalls zu Mantareitern.« Sie schnallten sich auf dem Rücken des Rochens fest. Wenige Augenblicke später deckte Sand sie zu.
8.
Der Familienpatriarch ist alleiniger Herr über alle Ländereien des Clans und der einzige, der Stimmrecht im Shikahma besitzt. Stirbt ein Patriarch, so wird der Sohn sein Nachfolger, der von allen Familienmitgliedern als neuer Patriarch anerkannt wird.
Shikahma -Grundsatz
Erhöre uns, Finstermann. Lausche unseren Stimmen und unseren Bitten. Wir geben dir neues Leben, Finstermann, und wir verlangen dafür deine Kraft. Der Tag wird kommen, an dem du zu einer Vollinkarnation wirst. Denke immer daran, Finstermann, daß du deine Zweitexistenz nur der Asketischen Kirche zu verdanken hast. Wir bringen dir Opfer dar. Wir erflehen deine Hilfe. Sei dankbar, oh Finstermann, und belohne uns mit Erkenntnis und Macht.
Finstermann-Beschwörungsformel
Wir besitzen nicht die Kraft, die Asketische Kirche auf Leseitis auszuschalten. Die Gefahr, die von ihr ausgeht, ist groß. Eines Tages wird ein neuer Missionskrieg drohen. Wir müssen vorbereitet sein.
Außenwelt-Sorge
»Die Schlacht ist verloren, Vater.«
Karamanash Ohtani erhob sich langsam aus seinem schweren Sessel. Er holte aus und schlug zu. Einmal, zweimal. Beim drittenmal wich Aimin einen Schritt
Weitere Kostenlose Bücher