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Die Sirenen von Kalypso

Die Sirenen von Kalypso

Titel: Die Sirenen von Kalypso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Werning
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dem Aufstieg der Wolkenqualle schienen auch ihre Probleme weit unter ihnen zurückgeblieben zu sein. Es war ein merkwürdiges Gefühl, aber es war angenehmer Natur. »Die Worte nicht, aber den Mentalaustausch. Es ist sonderbar. Die Hirne der Wolkenreiter funktionieren … anders. Sie geben Blut, aber in ihren Körpern bildet sich sofort neues, um den Verlust zu ersetzen. Es ist eine fast vollkommene Symbiose. Sie sind so friedfertig, wie der Prophet gesagt hat. Ein Volk der Ruhe. Und im Niemandsland werden sie von den Leseitisfamilien nicht gestört.« Sie überlegte. »Anpassung an die Umwelt. Tajima, die Wolkenreiter sind kaum noch Menschen im herkömmlichen Sinn. Du könntest mit einer ihrer Frauen nicht einmal ein Kind zeugen, da die Genstruktur bereits zu unterschiedlich ist. Es ist fast so, als wären sie eine neue Spezies.«
    In der Ferne war ein dumpfes Grollen. Rovaria kniff die Augen zusammen.
    »Die Präsenz«, sagte Tajima vorsichtig. »Kannst du sie noch immer spüren?«
    Wieder das Nicken. »Ja. Sie ist mal weiter von uns entfernt, und dann wieder näher.«
    »Aber wir haben in der vergangenen Nacht viele Kilometer zurückgelegt. Kein Bodenreisender kann uns mit der gleichen Geschwindigkeit folgen, mit der uns die Wolkenqualle durch die Hohen Lüfte trägt. Es ist unmöglich.«
    »Es ist nicht die Ausstrahlung einer körperlichen Präsenz. Es ist ein Mentalschatten. Mal ist er dichter, dann wieder unzusammenhängend. Es ist mir selbst ein Rätsel.«
    Der blinde Prophet kehrte zurück und wandte sich dem Anblick der Kolossalen Berge zu. Die Wolkenqualle begann bereits zu steigen. Die Luft wurde dünner. Rovaria murmelte ab und zu Magische Worte, die neuen Sauerstoff heranwehen ließen.
    »Ein dunkler Einfluß«, sagte der Blinde langsam und nachdenklich. »Nimmst auch du ihn wahr, Außenweltlerin?«
    Rovaria horchte.
    »Ja, Prophet. Es ist wie …«
    »Wie ein Gewitter, das sich mit düsteren Wolken ankündigt.«
    Das Grollen in der Ferne ertönte erneut. Der Himmel war klar. Nur in der Region der Kolossalen Berge bedeckten Wolkentürme die granitenen Gipfel. Aber sie waren wie weiße Watte. Eine Unwetterzone zog nicht heran. Gutes Reisewetter.
    »Vielleicht ein Erdbeben«, vermutete Tajima.
    Der blinde Prophet schüttelte den Kopf. »Nein, kein Erdbeben. Etwas anderes. Etwas gefährlicheres …«
    »Sind wir noch weit vom Mreydtor entfernt?«
    Tajima sah Rovaria an und streichelte ihr Haar und ihre Wangen. Wieder war die Wärme in ihm. »Nein, nicht mehr weit. Es befindet sich hinter den Kolossalen Bergen. Wir werden es heute noch erreichen.« Wenn es zu keinem Zwischenfall kommt, fügte er in Gedanken hinzu. Doch Rovaria vernahm auch die unausgesprochenen Worte und schmiegte sich an den Soldaten. Der blinde Prophet lauschte den unverständlichen Stimmen der beiden Wolkenreiter.
    »Die Qualle wird unruhig.« Wie um seine Worte zu bestätigen, erzitterte der gewaltige Leib des Himmelsgeschöpfes stärker. Tajima beugte sich über den Rand. Die purpurnen Nesselfäden der Qualle waren mehrere hundert Meter lang und wirkten wie ein Schweif. Nervös wiegten sie sich hin und her. »Ihre Sinne sind viel empfindlicher als die eines Menschen oder auch die der Wolkenreiter. Sie spürt etwas, das uns noch entgeht.«
    Unter ihnen glitten erste Granitmonumente dahin: seit Jahrtausenden unberührt vielleicht. Einige Male konnten sie glitzernde Streifen im Fels erkennen.
    Rovaria nickte. »Sie sind durch große Hitze entstanden, vielleicht durch den Einsatz von Brennern oder den heißen Atem von Nuklearwaffen. Strahlung existiert nicht. Was auch immer hier geschehen ist, es ist Jahrtausende her.«
    Und erneut das Grollen.
    Die weißen Wolken verwandelten sich. Binnen weniger Minuten wurden sie zu einer Düsterbank, einer Zone intensiven Unwetters.
    »Nein«, sagte der Blinde und nahm damit eine Frage des Soldaten vorweg, »wir können nicht mehr ausweichen. Dieses Unwetter … es ist nicht normal. Die temporalen Bedingungen stimmen nicht mit der Ausdehnung überein. Und die Geschwindigkeit des Wetterumschlags …«
    Der Wind lebte nun auf. Er trug die Wolkenqualle schneller an den Graten und Massiven der Kolossalen Berge empor, aber er trieb sie auch schneller der Unwetterzone entgegen. Böen zerrten an den purpurnen Nesselfäden, und die beiden Wolkenreiter hockten sich tiefer in die Nischen. Die Düsterbank ließ den Glanz des Weißen Zwerges verblassen. Dämmerung hüllte sie ein. Die Wolkenqualle stieg höher, und

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