Die Sirenen von Kalypso
herbei. Sie kamen sofort. Sie spürten die Bedeutung des Rufes.
»Der Ohtaniclan hat sich eines Kirchensakrilegs schuldig gemacht!« rief er und warf die Arme empor. »Er führt eigene Genveränderungen durch. Er verfolgt einen langen Plan, der jetzt in sein Endstadium getreten ist. Tajima Nimrod ist ein Werkzeug. Er ist auf dem Weg zu einem Mreydtor.«
»Ein Mreydtor?« tönte es zurück. »Auf Leseitis? Warum wissen wir nichts davon?«
»Selbst die, die sind, wußten es nicht. Das Tor muß abgeschirmt sein. Tajima soll dieses Tor durchschreiten und nach Kalypso gehen.«
»Kalypso …«
»Ja. Er soll die Gedankenkraft einer Sirene in sich aufnehmen. Der Kontakt wird ihn töten, sein Hirn zerbrennen, aber es stehen drei Geschöpfe bereit, die mental mit ihm verbunden sind und die Kraft im Augenblick seines Todes in sich aufnehmen.«
»Kalypso existiert und ist nicht nur eine Legende?«
Der Asket nickte. »Davon müssen wir jetzt ausgehen. Die mögliche Gefahr ist groß.«
»Die Lange Beschwörung des Finstermanns hat noch nicht ihr Endstadium erreicht. Wir sind noch verletzlich.«
»Die Mentalmacht einer einzigen Sirene – vorausgesetzt, die Legenden treffen zu – ist größer als die unsrige. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß der Ohtaniclan über sie verfügen kann. Es würde unsere Existenz unmittelbar bedrohen. Ihr kennt die Extrapolationen, Kirchenbrüder.«
»Der Gefahrenfaktor muß umgehend beseitigt werden!« rief ein anderer Ganzasket. »Die Ohtanis haben sich eines Kirchensakrilegs schuldig gemacht. Strafe ist angebracht.«
»Zuvor eine Untersuchung. Und sie muß sofort erfolgen. Wir brauchen Beweise für das Sakrileg, um unsere Maßnahmen vor den anderen Familien zu rechtfertigen. Fehlen diese Beweise und schreiten wir dennoch ein, riskieren wir eine Auseinandersetzung mit den anderen Clans, die möglicherweise ihre Unabhängigkeit bedroht sehen.«
»Richtig.« Ein Gedankenbefehl. Die Untersuchung war eingeleitet.
»Und Tajima Nimrod?«
»Wir haben keine Verbindung zu ihm und können ihn daher nicht kontrollieren. Er ist mentalunabhängig, Kirchenbrüder.«
»Wir müssen ihn töten, bevor er das Mreydtor erreicht.«
»Das Land-das-niemand-kennt mag auch für uns Gefahren bergen. Und er ist nicht allein. Eine Außenweltprophetin und ein starker Leseitismagier begleiten ihn.«
»Schöpfen wir alle unsere Möglichkeiten aus. Und beschleunigen wir die Lange Beschwörung …«
Nacheinander versanken die sieben Monde Leseitis’ hinter dem Horizont. Ihr Glanz verblaßte. Nur wenige Minuten später ging im Süden der Weiße Zwerg auf. Er vermochte die Kälte der Nacht kaum zu verdrängen.
Tajima richtete sich auf. Die Kolossalen Berge waren am Horizont bereits zu erkennen: als dunkle Wand, die weit über die Wolken hinausreichte.
»Können wir es schaffen?« fragte er.
»Die Berge zu überqueren?« Der blinde Prophet lachte und richtete sich ebenfalls auf. Der Boden unter ihren Füßen schwankte ein wenig. »Ich bin davon überzeugt.« Er deutete auf die beiden Wolkenreiter, die die gewaltige Luftqualle lenkten. Es waren grazile Gestalten, so groß wie Tajima Nimrod, aber nicht einmal halb so schwer. Jeder der beiden Männer mochte fünfzig Normkilogramm wiegen, ganz bestimmt aber nicht mehr. Die Wolkenreiter hatten die Augen geschlossen. Ruhig schwebte die Qualle durch die Hohen Lüfte Leseitis’. Weit unter ihnen zog das Land-das-niemand-kennt dahin: öde Wüste, mit Wandermoos bewachsene Staubsanddünen. Dann und wann konnten sie weit unter sich eine Bewegung wahrnehmen.
»Seht ihr sie?« fragte der Blinde Prophet. »Das sind die Wüstenleute. Lobt die Fügung des Schicksals, die mich mit euch zusammenführte. Denn wenn ihr Wüstenleuten am Boden begegnet, seid ihr des Todes.«
Tajima beobachtete die Wolkenreiter. Sie hockten in Nischen, die wie Spalten im Rücken der Qualle waren. Dutzende von Nervensträngen verbanden ihre Körper mit dem Empfindungssystem des Himmelsgeschöpfes. Manche dieser Stränge waren halbtransparent, und in ihnen sickerte rote Flüssigkeit dem Innern der Qualle entgegen. Die Wolkenreiter gaben ihr Blut, und die Qualle erschloß ihnen dafür die Hohen Lüfte.
Der blinde Prophet schritt über die zitternde Außenhaut den beiden Wolkenreitern entgegen und hockte sich neben ihnen nieder. Worte wurden gewechselt, die Tajima nicht verstand.
»Kannst du …«
»Ja.« Rovaria nickte. Sie lag auf dem Rücken und genoß Ruhe und Stille. Mit
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