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Die Sirenen von Kalypso

Die Sirenen von Kalypso

Titel: Die Sirenen von Kalypso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Werning
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zurück.
    »Hab wenigstens die Kraft, die Strafe hinzunehmen«, sagte Karamanash kalt. »Du bist ein Schwächling. Ich habe einen Versager gezeugt.« Er holte erneut aus. Aimin hielt seine Hand fest.
    »Du hast mich oft genug geschlagen, Vater. Einmal wird es das letztemal sein, das verspreche ich dir.« Das Gesicht des Patriarchen lief rot an.
    »Geh mir aus den Augen, nichtsnutziger Sohn! Ich will dich nicht mehr sehen. Ich spreche den Clanbann über dich aus. Verlasse die Feste. Verlasse die Ländereien der Ohtanis. Ich spreche dir hiermit das Recht ab, fortan den Namen Ohtani zu tragen.«
    Schweigend standen sie sich eine Weile gegenüber. In den Augen Aimins loderte zorniges Feuer. Er kochte vor Wut, sagte aber kein Wort. Abrupt wandte er sich um und verließ das Zimmer. Zurück blieb Karamanash Ohtani.
    »Eine weitere Schlacht an den Clanfeind«, sagte er, und seine Gedankenstimme fragte: Was soll ich nur tun?
    Es war eine rhetorische Frage, und sein persönlicher Gebundener Prophet antwortete nicht darauf.
    Eine Zeitlang dachte der Patriarch schweigend nach, dann verließ er ebenfalls den Raum, schritt durch Wandelhallen und kalte Korridore und suchte die Kellergewölbe der Zentralfeste auf. Als er die Bannschwellen zur Traumkammer überschritt, beschleunigte sich sein Pulsschlag. Blätter und Zweige der Teufelsorchidee wandten sich ihm zu, als er die Kleidung ablegte und sich in den Traumsessel sinken ließ. Langsam bohrten sich die Hohldorne in seine Poren.
    Du bist wieder da.
    Ja, meine grüne Freundin. Und wieder habe ich nur wenig Zeit für dich. Es tut mir leid.
    Mir auch. Wünschst du einen Traum zur Entspannung? Einige Minuten der Intensivruhe, die dir neue Kraft verleiht?
    Nein, Orchidee. Ich wünsche die Weite Sicht. Verbinde mich mit den Suchern, die die Spur verfolgen.
    Das Bild vor den Augen Karamanashs verschwamm und klärte sich kurz darauf wieder. Er spürte einen nahen mentalen Hauch: die Präsenz des Soldaten. Er verspürte Zweifel und Skepsis eines Geschöpfes, das ihm fremd war. Er spürte Unruhe und die Sehnsucht nach Antworten. Er nahm teil an dem Verlangen, Kalypso zu besuchen.
    Gut so. Die Verbindung ist stabil. Der Spürer starb. Aber es war zum Glück ein langsamer Tod. Und die Zeit mußte ausreichen. Er wußte, daß die Kirche bereits Verdacht geschöpft hatte. Die Versuche des Mönchs, die Bannschwellen in der Zentralfeste mit seinen Mentalsinnen zu durchdringen, waren seinem Gebundenen Propheten nicht entgangen. Alles strebte einem Höhepunkt entgegen. Alles hing davon ab, wann Tajima Nimrod Kalypso erreichte.
    Der Geist des Patriarchen löste sich von dem Mentalschatten des Soldaten und gesellte sich den Präsenzen der Sucher hinzu: drei Kunsthybriden, von der Kirche für einen anderen Zweck geliefert und von den Magischen Genetikern in der Zentralfeste genmetamorphiert. Es waren starke Geschöpfe: Sie würden die Kraft aufnehmen, die Tajima Nimrod auf Kalypso vorfand. Und diese Kraft …
    Etwas veränderte sich.
    Der Patriarch lauschte der störenden Stimme nahe seinen Gedanken.
    Jemand überschreitet die Bannschwellen, die in diesen Raum führen.
    Es ist unmöglich! Nervosität entstand in Karamanash.
    Oh nein, mein Freund. Bereits vor einigen Tagen hat mich jemand besucht, ohne meine Träume zu benutzen.
    Wer? Sag es mir! Die Existenz der Teufelsorchidee war eines seiner bestgehüteten Geheimnisse. Die Nervosität verstärkte sich. Wer von dieser Kammer und ihrem Inhalt wußte, der kannte eine Schwäche des Patriarchen.
    Dein Sohn, Freund … Aimin.
    Beende die Weitsicht! riefen die schrillen Gedanken des Patriarchen. Löse dich von mir. Gefahr. Gefahr!
    Wieder verschwamm das Bild vor seinen Augen, und als es sich diesmal klärte, blickte er in das ausdruckslose Gesicht seines Sohnes. Karamanash wollte sich aufrichten, doch die Schwäche des Blutverlusts vereitelte diesen Versuch. Aimin hob die Waffe in seiner rechten Hand. Karamanash erkannte auf den ersten Blick, daß sie von Außenwelt stammte. Ein Brenner. Oder etwas anderes, das im Bruchteil einer Sekunde tötete.
    »Ich habe es dir versprochen«, sagte Aimin leise und kalt. »Eines Tages wird sich das Blatt wenden. Dieser Tag ist gekommen.«
    »Du willst deinen eigenen Vater umbringen?«
    »Ich bin nicht mehr dein Sohn, erinnerst du dich? Also kannst du auch nicht mein Vater sein.«
    Karamanash kam ruckartig in die Höhe. Der fahle Glutblitz traf ihn mitten auf der Brust. Der Patriarch starb einen raschen, schmerzlosen

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