Die Sirenen von Kalypso
Sekunde.
Gefahren? fragte er, und der Quasisymbiont, den auch er an seiner Hüfte trug, ließ ihn die Antwort seines Gebundenen Propheten verstehen.
Nein, Hoher Herr. Alles ist ruhig. Die Überraschung über den Tod des Patriarchen ist noch zu groß. Deine Brüder sind nur neugierig.
Nun, ich werde ihre Neugier befriedigen.
Sie gelangten schließlich an ein breites, bronzenes Portal. Einer der Soldaten betätigte den Öffner, und die beiden Flügel schwangen auf. Murmelnde Stimmen schlugen ihnen entgegen. Aimin blieb einen Augenblick stehen und sah sich um. Alle waren da und seinem Ruf gefolgt: seine Brüder, seine Schwestern, die nur verschiedenartige Erotikvergnügen im Kopf hatten, die Freunde, die Höheren Bediensteten. Dies war das Herz des Ohtaniclans. Er setzte sich wieder in Bewegung, und das Murmeln erstarb. Stille. Schweigen. Aimin Ohtani schritt durch die breite Passage und betrat schließlich das Podium. Einer der Soldaten stellte sich hinter den breiten Sessel, der nur dem Patriarchen vorbehalten war. Die im Saal Versammelten wechselten vielsagende Blicke.
»Der Patriarch ist tot!« rief Aimin Ohtani. »Er starb durch eine Überdosis Wohlbehagen. Er war ein Suchtabhängiger.«
Ranar sprang auf die Beine. Es war einer seiner Ganzbrüder. Er war älter als Aimin und hatte damit bessere Rechte auf den Familienvorsitz. Aimin lächelte kalt.
»Mein Gebundener Prophet sagt etwas anderes.« Ein anderer Mann erhob sich: uralt, von hagerer, fast dürrer Statur.
»Unser Patriarch«, erklang die leise Stimme des Propheten, »ist durch eine Außenweltwaffe ums Leben gekommen.«
»Hm«, machte Aimin. »Willst du eine Anklage erheben, Ranar?«
»Die Beweise reichen nicht aus, das weißt du.«
»Du bist ehrlich.«
»Ja. Und du hast kein Recht auf den Sessel. Verschwinde, Aimin. Der Patriarch ist tot. Und jeder weiß, daß ich sein ältester Sohn bin. Mir steht der Familienvorsitz zu.«
Aimin Ohtani erhob sich.
»Sieh dich um, Ranar. Erkenne die Situation.« Er deutete auf die Soldaten seiner Leibgarde. »Willst du dich mir widersetzen?«
»Ich kann es nicht. Aber ich werde dich nicht anerkennen. Und ohne die einstimmige Anerkennung bist du kein Patriarch, Aimin Ohtani.«
Mit einer fließenden Bewegung holte Aimin das vergiftete Wurfmesser hervor und schleuderte es in Richtung seines Bruders. Es traf die Kehle Ranars. Er riß die Augen auf. Blut quoll aus der Wunde. Er starb innerhalb von zwei oder drei Sekunden. Das Gift ließ ihm keine Chance.
Einige seiner anderen Brüder waren aufgesprungen.
»Brudermörder!« rief eine Stimme.
Aimin Ohtani lächelte nur. »Jetzt«, sagte er, »bin ich der älteste Sohn. Gibt es noch jemanden, der meine Rechte auf den Familienvorsitz bestreitet?«
Stille.
Schweigen. Niemand meldete sich. Viele Gesichter waren blaß.
»Gut. Dann erbitte ich eure Zustimmung.« Zögernd kamen Arme in die Höhe. Aimin nickte zufrieden und wartete, bis alle Anwesenden ihre Zustimmung gegeben hatten. »Damit«, sagte er dann, »bin ich rechtmäßiger Patriarch der Ohtanifamilie. Ihr könnt gehen, Brüder, Schwestern, Freunde und Bedienstete. Das Wohl des Clans ruht nun in meinen Händen.«
Das Portal am gegenüberliegenden Ende des Raumes wurde geöffnet. Ein Gebundener Ohtaniprophet eilte in den Saal und verbeugte sich.
»Welche Nachricht bringst du, Prophet?«
»Hoher Herr.« Die Stimme war nervös und unruhig. »Der Spürer ist gestorben. Ein Mentalschock. Vielleicht war dein Vater durch die Orchidee mit den Suchern und damit auch dem Spürer verbunden. Sein Tod war auch der Tod des Spürers.«
»Und die Sucher?« Kälte stand in Aimin.
»Sie existieren. Wir haben Verbindung zu ihnen. Aber …«
»Sprich, Prophet! Ich habe keine Geheimnisse vor meinem Clan.« Es tat gut, diese Worte auszusprechen.
»Die Propheten, die Verbindung zu ihnen halten, wurden mit der Mentalstimme eines Ganzasketen konfrontiert. Sie konnten sie zurückdrängen, aber wir müssen davon ausgehen, daß die Asketische Kirche nun über alles unterrichtet ist.«
»Über alles? «
»Ja, Hoher Herr.«
Aimin überlegte nur einige wenige Sekunden. »Die Kirche wird eine Untersuchung einleiten. Aber wenn sie etwas gegen uns unternehmen will, braucht sie Beweise.« Er trat vom Podest herunter. »Zerstört alle Hinweise auf das Kirchensakrileg. Schnell, beeilt euch. Das Untersuchungskomitee trifft vielleicht schon bald hier ein. Beseitigt alle Spuren. Die Mönche dürfen nichts finden.« Er zögerte kurz.
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