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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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sagte ganz leise: »Herr Doktor, seien Sie auf der Hut!«
    »Auf der Hut sein?« fragte Gammacurta verwundert.
    »Aber wovor denn?«
      »Passen Sie auf, Herr Doktor«, wiederholte dieser, ohne weitere Erklärungen hinzuzufügen.
    Der Arzt zog den Mantel über, ging zur großen, holzgefaßten Glastür und verließ das Theater. Doch er hatte kaum ein paar Schritte getan, als ihn zwei mit Karabiner bewaffnete Soldaten anhielten.
    »Das geht nicht«, entgegnete der zweite Soldat.
      Was fiel den beiden Lümmeln eigentlich ein? Er sah aus den Augenwinkeln, wie sich noch ein anderer Mann in Uniform näherte, der die Abzeichen eines Oberleutnants trug. Er grüßte, die Hand vorschriftsgemäß an die Dienstmütze führend.
      »Sie wollen entschuldigen, aber das ist ein Befehl Seiner Exzellenz, des Präfekten. Keiner darf das Theater vor Ende der Vorstellung verlassen.«
      »Soll das ein Witz sein?« rief Gammacurta, und um seiner Frage mehr Gewicht zu verleihen, wiederholte er in bestem Italienisch: »Sie belieben wohl zu scherzen?«
      »Nein, Herr. Sie machen sofort kehrt, oder ich werde mich gezwungen sehen, Sie ins Gefängnis zu stecken. Und so eine alberne Geschichte ist ja wohl keine Nacht hinter Gittern wert.«
    Es war klar, daß der Oberleutnant Schlimmeres vermeiden wollte. Niedergeschlagen kehrte der Arzt ihm den Rücken und ging wieder hinein. Ninì Nicosìa, der die Szene durch die Glasscheiben verfolgt hatte, machte dem Arzt ein Zeichen, daß er die Ruhe bewahren solle. Kalte Wut hatte Gammacurta erfaßt und schüttelte ihn wie ein Bäumchen inmitten von Windstößen. Es mußte doch noch einen zweiten Ausgang aus diesem verfluchten Theater geben. Von einem sechsten Sinn gesteuert und entschlossen, vor den Soldaten und dem Präfekten nicht klein beizugeben, ging er, statt in den Saal zurückzukehren Holztreppen abgingen: die eine führte zur Bühne hinauf, die andere zur Unterbühne. Er nahm die letztere, er konnte ja nicht plötzlich zwischen den Sängern auftauchen, das hätte einen weiteren Aufstand ausgelöst. Blinder Zorn hatte ihn gepackt. Er wollte nach Hause gehen, und das würde er auch tun. Er stand in einem riesigen Raum, der nur schwach vom Schein einiger Öllampen erhellt war. Zusammengerollte Bühnenbilder, Seile, Balken, Kostüme, Helme, Fässer und Degen lagen herum.
      Undeutlich erkannte er an der hinteren Wand eine geschlossene Tür. Die Stimmen und die Schritte der Sänger drangen gedämpft von oben an sein Ohr. Er nahm die sechs Treppenstufen zur Tür hinauf, zog den Riegel beiseite und stand im Freien in der Gasse hinter dem Theater. Er lächelte: den Soldaten und dem Präfekten hatte er es also gezeigt. Er versuchte, die Tür hinter sich zuzuziehen, aber es gelang ihm nur zur Hälfte, da die Türangeln von irgend etwas blockiert wurden. So ließ er die Tür angelehnt. Und genau in diesem Augenblick rief jemand: »Halt, du Dieb!«
      Er sah sich um und war jetzt ehrlich erschrocken. Ein berittener Soldat stand an der Ecke der Gasse und hielt den Karabiner auf ihn gerichtet.
    »Hände hoch, du Dieb!«
    Eine Verwechslung also. Der Soldat war überzeugt, daß er ein Dieb war, der sich in die Unterbühne geschlichen hatte, um etwas zu stehlen. Er mußte lachen, aber anstatt er dachte, daß der Soldat auf dem Pferd in dieses Meer aus Salz, fein wie Sand, nicht würde vordringen können. Der Soldat hielt tatsächlich an, zielte in die Richtung des Mannes, dessen Umrisse trotz der Finsternis deutlich vor dem Weiß des Salzes zu erkennen waren, und schoß.

    »Ich wollte, mein Vater oder meine Mutter, oder eigentlich beide, denn beide waren gleichermaßen verpflichtet, hätten sich ein wenig Gedanken gemacht, bevor sie mich in die Welt setzten«, sagte Decu Garzìa leise, als spräche er mit sich selbst. Er machte eine Pause, holte Luft und sprach weiter.
    »Das meine ich wirklich. Ganz ehrlich.«
      Sie waren nur noch zu zweit in Pippino Mazzaglias Arbeitszimmer, Traquandi und Garzìa. Als der Vorschlag gemacht worden war, das Theater anzuzünden, hatte Ninì sich mit entrüsteter Miene zurückgezogen und von Cosimo Bellofiore nach Hause begleiten lassen, der mit ihm einer Meinung war.
      Die beiden warteten auf Don Pippino, der das holen gegangen war, was der Römer von ihm verlangt hatte. Nando Traquandi bekundete Interesse für Garzìas Worte, aber nur aus bloßer Höflichkeit dem einzigen ihm verbliebenen Verbündeten gegenüber.
    »Warum?«
    »Weil ich selbst nicht weiß,

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