Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
neuen Gesandten zu schicken.« Er reibt sich freudig die Hände angesichts dieser Aussicht.
Die Bestürzung in ben Hadous Gesicht wäre beinahe komisch, könnte ich etwas empfinden. Stattdessen beobachte ich gleichmütig, wie er sich verbeugt und meine umfangreichen Papiere mit einer Geste zusammenrollt, die besagt, dass er sie am liebsten zerreißen und dem Herrscher ins Gesicht werfen würde. Doch dazu ist al-Attar viel zu beherrscht. Als er den Kopf wieder hebt, ist sein Ausdruck leer. Er antwortet knapp auf die Fragen des Sultans zum Leben am englischen Hof – dem König, seinem Palast, seinen Gärten – und versucht vorsichtig, die Pracht dort herunterzuspielen. Whitehall, erzählt er dem Sultan, sei ein Labyrinth von Gängen voller mottenzerfressener Wandteppiche und Spinnweben. Diese verbänden riesige, leere Säle, in denen die wenigen Höflinge des Königs wie das Rasseln von Samenkörnern in einer Kalabasse klängen. »Manche Teile des Schlosses sind jahrhundertealt, und andere wurden willkürlich angebaut. Der Palast ist nicht zu vergleichen mit der Größe und den epischen Ausmaßen Eurer großen Leistung hier, Hoheit.«
Ismail hört dies gern und beugt sich vor. »Und wie sind seine Frauen?«
»Nach den Gesetzen der Christen darf er nur eine haben. Königin Katharina ist eine unscheinbare Person mit Zähnen wie ein Kaninchen. Doch im Gegensatz zu diesen hat sie bislang kein Kind zur Welt gebracht.«
»Wer wird ihm dann auf den Thron folgen? Er ist weit über fünfzig. Er sollte diese portugiesische Infantin schleunigst loswerden und sich eine neue Frau nehmen, die ihm einen Erben schenkt.«
Während ben Hadou dem Sultan die Schwierigkeiten um die englische Thronfolge erläutert, wandern meine Gedanken zurück zu dem Weißen Schwan. Ich frage mich, ob sie allein war, als sie starb, ob irgendjemand sie hätte retten können, ob Zidana ihre Finger im Spiel hatte. Und wann genau war es? Als ich am Tisch der Herzogin von Portsmouth den guten französischen Wein genoss? Oder vielleicht vor einem Monat, als ich im Rosengarten spazieren ging und davon träumte, dort mit Alys zu sitzen und in der sanften englischen Sonne den Duft der Blüten einzuatmen? Oder ist sie an gebrochenem Herzen gestorben, kurz nachdem ich mit Momo abgereist war?
Ich quäle mich mit diesen Gedanken und schnappe nur gelegentlich einen Satz auf, während ben Hadou den englischen Hof beschreibt. Jetzt reden sie über die Frauen …
»Sind alle so blass wie der Weiße Schwan?«, fragt der Herrscher neugierig, woraufhin mein Herz zu pochen beginnt.
»Die meisten sind hässlich«, erklärt al-Attar . »Sie haben braunes Haar und eine dicke Schicht Bleiweiß auf dem Gesicht, um ihre Pockennarben zu verbergen.«
Das erfreut den Sultan zutiefst, und er bittet seinen Gesandten, ihm mehr Einzelheiten zu erzählen, vor allem über die Mätressen des Königs.
»Dazu solltet Ihr Nus-Nus befragen«, mischt sich eine boshafte Stimme ein. »Er hat eine Menge Zeit mit den Huren des englischen Königs verbracht.« Ich hebe den Kopf, und als ich mich umdrehe, sehe ich Samir Rafik, der mich mit verächtlich gekräuselten Lippen mustert. »Seht nur, wie er um sie trauert.«
Der Sultan beugt sich auf seinem Diwan vor und betrachtet mich neugierig. »Nus-Nus, komm her.«
Ich trete einen Schritt vor, dann einen zweiten.
»Knie nieder.«
Ich gehorche, woraufhin Ismail die Hand ausstreckt und mir über das Gesicht fährt. »Weinst du?«
Tue ich das? Meine Hand fährt zu meiner Wange, sie ist feucht.
»Warum weinst du?«
Ich kann nicht darauf antworten.
»Vielleicht aus Scham!«, ruft Rafik in die Stille. »Er und Kaid ben Hadou hatten während unseres Aufenthaltes in London englische Mätressen, und als Kaid Sharif und ich ihre Ausschweifungen kritisierten, schickten sie uns auf eine sinnlose Suche aufs Land, damit wir ihnen nicht im Wege standen und sie ungehindert den guten Namen des Islams, Marokkos und der Gesandtschaft Eurer Hoheit in den Schmutz ziehen konnten.« Er nimmt eine dicke Schriftrolle aus seinem Umhang, rollt sie auf und zählt jedes Ereignis auf, bei dem ein Mitglied der Gesandtschaft vom rechten Weg abgekommen ist. Einiges erfindet er dazu, wobei er sich die schlimmsten Verfehlungen für seine Feinde aufhebt: für ben Hadou und mich.
Ismails Gesicht hat sich unheilvoll verfinstert, doch ich stelle fest, dass es mir einerlei ist. Obendrein sind die meisten Anschuldigungen völlig absurd. Plötzlich pruste ich los, was den
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