Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
gestorben?« Mir läuft es kalt über den Rücken. »Was meint du?«
»Die Ruhr hat so viele getötet.«
»Alys?« Meine Stimme ist so heiser, dass ich den Namen kaum aussprechen kann.
Sie wirft mir einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu und nickt. »O ja, sie war eine der Ersten.«
Mir wird heiß, dann kalt, ich zittere, als hätte ich hohes Fieber. Das Blut pocht derart laut in meinen Ohren, dass ich ihren nächsten Satz nicht verstehe, sondern mich an die Wand lehne und daran hinuntergleite, bis ich auf dem Boden lande.
Makarim beobachtet mich neugierig. »Ist dir nicht gut, Nus-Nus?« Ein kurzes Lächeln huscht über ihre Lippen. Trotz der Möglichkeit, dass der Tod bereits seine Schwingen über sie gebreitet hat, genießt sie das Ganze.
Mir fehlen die Worte, und ich blicke sie nur ausdruckslos an, wie erstarrt, ungeachtet der Hitze des Tages. Scheinbar gibt es nichts zu sagen, nichts, was man tun könnte. Zidana wird meinen Kopf fordern, und niemand wird sich daran stören. Ich habe meine Rolle erfüllt. Habe Momo ein neues Leben verschafft, fern von den Gefahren dieses Palasts. Ich senke den Kopf.
Man hätte meinen können, dass meine Hoffnungslosigkeit sich durch nichts hätte erschüttern lassen, doch dann fällt mein Blick auf eine Reihe von Ameisen, die sich durch eine Ritze in den kostbaren Zellij-Kacheln einen Weg durch den Gang zum fernen Innenhof bahnen, jede mit einem Reiskorn oder einem Brotkrümel auf dem Rücken. Ich beobachte, wie sie marschieren, winzige Kreaturen, die unbeirrt ihres Weges ziehen, obwohl sie angesichts der monumentalen Architektur im Traum eines wahnsinnigen Sultans nur winzige Punkte sind. Wie in Trance betrachte ich sie, bis ich jäh gestört werde.
»Nus-Nus, du musst sofort mitkommen!« Es ist Abid, der Sklave des Sultans. »Ich habe dich schon überall gesucht«, keucht er atemlos.
»Er kann nirgendwohin«, mischt sich Makarim ein und starrt den Jungen an. »Er muss etwas für die Herrscherin erledigen.«
Abid hält ihrem Blick stand. »Moulay Ismail verlangt nach ihm. Er soll sofort in den Versammlungssaal kommen.«
Damit hat sich die Angelegenheit erledigt. Nicht einmal Zidana würde es wagen, dem Herrscher zu widersprechen.
Als ich aufstehe, zupft Makarim mich am Ärmel. »War es Gift? Sag mir die Wahrheit.«
Ich blicke sie stumm an. Dann schüttele ich den Kopf. »Im Gegenteil.«
»Dann werde ich leben?«
»Ich bin sicher, dass du uns alle überleben wirst.«
Offensichtlich erleichtert erinnert sie sich an ihre Aufgabe. »Dann gib mir jetzt das Geld, schnell, ich bringe es zu Zidana und rette unser beider Haut.«
Ich blicke sie an, als schwafelte sie Unsinn. »Ich habe kein Geld und auch keine Juwelen. Wenn sie als Zahlung meinen Kopf fordert, dann soll es so sein. Es ist mir egal. Also geh zurück und sag das deiner Herrin.« Anschließend folge ich Abid zu meiner Kammer, um meine Unterlagen zu holen, und danach weiter zum Versammlungssaal.
Viele Minister und Kaids haben sich versammelt, einschließlich des neuen Wesirs, eines schwächlichen, unterwürfigen Mannes mit pockennarbigem Gesicht, der ein einfaches Gewand und keinen Schmuck trägt, in jeder Hinsicht das Gegenteil von Abdelaziz. Der Sultan sitzt inmitten seines üblichen Pomps, zwei Diener wedeln ihm mit großen Fächern aus Straußenfedern Luft zu. Falls er mich wiedererkennt, als ich mich nach der Niederwerfung wieder aufrappele, so lässt er sich nichts anmerken. Sein Blick schweift gleichgültig über mich hinweg. Zu seinen Füßen sitzt Aziz und hält das angespitzte Schilfrohr über der Schreibschatulle in seinem Schoß, um alles festzuhalten. Kurz darauf tritt ben Hadou ein. Nachdem er einen flüchtigen Blick auf meine Unterlagen geworfen hat, beginnt er ausführlich über unsere Zeit in London zu berichten. An erster Stelle steht natürlich das Abkommen, doch als der Gesandte die Bestimmungen erläutern will, hebt der Sultan irritiert die Hand.
»Die Umstände haben sich geändert, seit ihr die Reise angetreten habt, um über das Abkommen zu verhandeln. Vielleicht wisst ihr noch nichts davon. Wir haben die Ungläubigen aus Mamora vertrieben, jetzt verfügen wir über einen weiteren Hafen. Die Spanier ließen einige hervorragende Geschütze zurück. Zusammen mit denen, die ihr aus England mitgebracht habt, den exzellenten Musketen und dem Schießpulver sind wir in einer Position, die es uns erlaubt, die Bedingungen neu zu verhandeln. Ich werde König Karl auffordern, mir einen
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