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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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Zeit? Dann gehen Sie in die Dramaturgie und holen Sie sich das Material. Gagenmäßig werde ich Ihnen einen Vorschlag machen, im üblichen Rahmen. Ich muss mir nur noch überlegen, was ich ihm zahle für die Zusammenstellung. Für Sie bleiben dann Einstudierung und Abendgage. Er wird sich nicht wehren können. Es ist ja nicht vorstellbar, was wir mit dem Mann mitgemacht haben. Auf zwei Proben ist er überhaupt nicht erschienen, und wie das Büro angerufen hat, hat der Kerl regelrecht ins Telefon gelallt. Am dritten Tag ist er dann erschienen, aber mit so einer Fahne, dass die Regieassistentin geglaubt hat, sie überlebt’s nicht.«
    Der Klavierspieler stand auf der Straße vor der »Komödie«. In der Hand krampfhaft eine große, zugebundene Mappe mit kopierten Noten festhaltend.
    Nicht zu glauben, diese Noten hat der auch. Und wird sie nicht spielen. Weiß noch nicht, dass er sie nicht spielen wird. Wie kann der so verrückt sein, sich diesen Job nehmen zu lassen. Vergiss das »Logos« und wie diese Scheißläden alle heißen, mit ihren miesen Klavieren. Ich hab’s doch heute wieder gespürt: Theater, das ist doch eine andere Atmosphäre, ein anderes Leben. Da macht eine Sekretärin die Tür auf, eine gepolsterte Tür, und die Fauteuils beim Direktor, eine Sensation. Ich ruf die Frau an, die früher bei mir aufgeräumt hat. Die muss wieder Ordnung machen. Da gehört ein neuer Stil her. In jeder Hinsicht.
    Nein, es ist gut, dass ich das mache. Wieder einmal Proben. Einstudieren. Pünktlich sein. Nette Leute kennen lernen. Vielleicht ist eine Schauspielerin dabei, die auf mich steht. Ich kann ja an spielfreien Abenden genug daneben machen. Ich muss mit dem Chef vom »Logos« reden. Der braucht doch nur die Termine irgendwie zu koordinieren. Das geht schon.
Wo
habe ich meinen Kalender? Wo habe ich meinen Kalender? Warum führe ich denn den nicht mehr? Das kommt alles von diesem blöden Saufen.
    Er verspürte Durst, einen Brand. Er erinnerte sich an das »Café Komödie« in der nächsten Querstraße. Am Weg dorthin verarbeitete er seine Situation weiter. Zeit hatte er genug, zumal er zunächst – in seiner Verwirrung – eine Querstraße zu weit ging.
    Jetzt hauen die den einfach raus. Weil er säuft. Und ich kriege den Job. Ist ja nicht zu fassen. Genau genommen dürfte ich ja gar nicht – andererseits –
ich
werde keine Probe versäumen, ich werde nie blau antreten, das wird es bei
mir
nicht geben. Was soll ich da Skrupel haben? Außerdem bin ich besser. So viel ist einmal klar.
    Was sind das für Noten? Gedruckte wahrscheinlich. Ich hab gar nicht gefragt, ob ich allein begleiten soll oder mit Rhythmus. Muss ich am Nachmittag anrufen. Zuerst schau ich mir einmal das Material an. Kann mir schon vorstellen, was der ausgesucht hat. Wird man alles einrichten müssen, wenn es nicht so altspatzenartig klingen soll.
    Jetzt stand der Klavierspieler dem »Café Komödie« gegenüber auf der anderen Straßenseite. Er hastete hinüber. Er hastete, obwohl die nahe Ampel für Fußgänger auf Grün stand. Er hatte Angst, die Autos würden sich nicht an die Farben der Ampel halten, sie würden sie möglicherweise gar nicht genau erkennen.
    Er betrat das Kaffeehaus. Das Einzige, was er sofort ganz scharf sah, war die Viererloge, in der allein der Kollege saß, der andere Klavierspieler, der gefeuerte, der durch ihn ersetzte, der Vorgänger.
    Der winkte freundlich und lud zum Dazusetzen ein.
    Der Klavierspieler hatte Angst, der Kollege könnte sich nach dem Inhalt der Notenmappe erkundigen. Daher verstaute er sie erst oben auf dem Garderobenständer, bevor er sich in die Loge zwängte. Sie schüttelten einander die Hand. Der Klavierspieler wusste nicht, was er sagen sollte. Ein »Wie läuft’s?« brachte er gerade noch heraus.
    Der Kollege setzte seine Kaffeetasse ab.
    Seine Hand zittert überhaupt nicht, dachte der Klavierspieler, wieso sagen die, dass er säuft?
    Der Kollege wiederholte die Frage:
    »Wie’s läuft? Na ja, wieder gut.«
    »Wieso wieder?«, wollte der Klavierspieler wissen.
    »Ich hab eine schwierige Zeit hinter mir. Ich war mit einer Schwedin zusammen, einer Tänzerin, die ist eines Tages dahin gewesen. Ohne was. Da hat’s mich ziemlich gehabt, eine Zeit lang. Es wird dir aufgefallen sein, ich habe ja monatelang nirgends regelmäßig gespielt. Immer nur Zufallsgigs. Da bin ich ein bisschen ins Schlucken gekommen.«
    Nach einem kurzen, traurigen Lachen sagte er:
    »Jetzt hab ich einen im Grunde ganz guten

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