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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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heißt
gut
!?
    Es muss ein Wahnsinn werden. Ich möchte keine Zeitung lesen, in der die Band unerwähnt bleibt. Überall muss stehen: Normalerweise leiden Chansonabende dieser Art an dem abgenudelten Stil der dreißiger Jahre. Diese drei jungen Musiker schlagen eine Brücke ins musikalische Heute. Es ist ein durch die Solisten kaum getrübtes Vergnügen, ihnen zuzuhören.
    Gut, die zwei Bassisten sind klar. Welcher Drummer? Logisch wäre der Däne, den ich kürzlich das erste Mal gehört habe. Ein Muss. Ein absolutes Muss. Aber mein alter Kumpel hat eine ziemlich kranke Frau. Nicht zu machen, dass ich den übergehe. Ausgeschlossen. Und so viel schwächer ist er auch nicht. Die Premiere spielt eben … Das muss ich jetzt noch nicht entscheiden. Das hat Zeit.
    Aber ich geh den Direktor um einen vierten Mann an. Für gewisse Effekte brauchst du einfach ein heiseres Sax. Für die irren Fills.
    Ich handle meinen Burschen ordentliche Gagen aus. Sonst stimmt die Chemie nicht. Weil ich werde jetzt gehen und
meine
Gage ausmachen. Und die wird ordentlich sein. Da kann dieser Herr »Komödie« Gift drauf nehmen. Darauf kann er einen lassen. Der Kollege ist ein Arschloch. Der kann sich nicht wehren, der Softie. Ich kann und ich werde.
    Der Klavierspieler hatte etwas gegen seinen fürchterlichen Durst, oder wie er meinte, sein genetisch bedingtes Flüssigkeitsbedürfnis tun müssen. Zwei Dosenbiere bei der Frittenbude schräg gegenüber von der »Komödie« hatten ihn so richtig fit für die Auseinandersetzung gemacht. Ein Korn kann jetzt nicht schaden, dachte er, sonst bin ich vielleicht zu aggressiv.
    Vom Bühnenportier nahm der Klavierspieler nicht mehr viel wahr, von der Direktionssekretärin auch nur ein undeutliches verhinderndes »Der Herr Direktor erwartet Besuch«. Da stand er schon im Direktionsraum und hörte einen Mann, den er nicht sehr scharf sah, sagen:
    »Bitte, was kann ich noch für Sie tun?«
    Die Auskunft des Pianisten war nicht sehr artikuliert.
    »Das mit der Gage sollten wir noch besprechen, weil das ist natürlich die Voraussetzung, weil, so geht’s natürlich nicht, ich meine, Sie müssen mir schon sagen, wie Sie sich das im Detail vorstellen.«
    Während dieses Satzes war der Direktor dem Klavierspieler nahe gekommen. Seine Augen wurden schmal. Sein Ton allerdings behielt diese gewisse bestimmte Liebenswürdigkeit.
    »Kann das sein, dass Sie nicht sehr gut stehen? Irre ich mich sehr, wenn ich meine, dass Sie eine Fahne haben? Dass Sie stockbesoffen sind? Um diese Zeit? Darf ich Sie daher bitten, unser letztes Gespräch für hinfällig zu erachten? Die Sache hat sich erledigt.«
    Der Klavierspieler spürte, dass er hinausgeschoben wurde, gänzlich ohne Einwirkung einer fremden Hand.
    Der Direktor drückte auf die Gegensprechanlage zu seiner Sekretärin.
    »Es müsste doch in einer Großstadt ein unbesoffener Pianist aufzutreiben sein. Suchen Sie mir doch einmal die Nummer von dem …«
    Der Klavierspieler erwachte am späteren Nachmittag in seinem Zimmer. Lange regte er sich nicht, starrte nur zur Decke.
    Dann ging er zum Telefon und rief bei seinen Eltern an. Er erreichte seine Mutter. Er wolle sich nur einmal melden, sagte er, und erzählen, wie es ihm so gehe, es gehe ihm blendend, heute habe er ein Angebot der »Komödie« gehabt, aber das habe er an der Gage scheitern lassen. Ja, er spiele noch im »Logos«, weil das doch mit Abstand der beste Laden für einen Pianisten sei, aber in den nächsten Wochen würde die Sache mit einer eigenen Platte wahrscheinlich konkret werden. Deshalb müsse er zur Zeit Tag und Nacht üben.

Ein Ehrenmann
    Eines Novembermorgens läutete um sieben Uhr früh beim Dichter das Telefon. Die Frauenärztin war am Apparat.
    »Wissen Sie schon«, sagte sie, »nein, Sie können es ja noch gar nicht wissen, ich möchte nur nicht, dass Sie es in der Zeitung lesen. Er ist verhaftet worden.«
    Der Dichter fragte verglast zurück: »Wer?«, wusste aber im selben Augenblick, es konnte nur sein Freund, der Croupier, gemeint sein.
    Der Dichter sprang aus dem Bett, verfing sich mit einem Fuß in der Telefonschnur, fiel erst mal ordentlich hin, bevor er sich rasch anzuziehen begann, so weit das für den Weg zum Zeitungskiosk nötig war.
    Der Film seiner Freundschaft mit dem Croupier lief in seinem Kopf ab. Aber ungeordnet sprunghaft. Daher sollte man versuchen, chronologisch vorzugehen.
    Man kann das Ganze nicht wirklich begreifen, wenn man die damalige Situation des Dichters nicht

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