Die Socken des Kritikers
kennt, die zum großen
Mensch, ärgere dich nicht
-Turnier geführt hatte.
Damals, das war die Zeit, als es dem Dichter nicht so besonders gut ging. Sein Lyrikband war zwar gelobt worden, das lokale Feuilleton sprach von
einer der wesentlichsten Stimmen der jungen Literatur
, aber wie das mit Gedichten oft so ist, der Dichter hätte einige von ihnen gerne längst schon wieder ausradiert. Seine Angst, gerade die schlechten Gedichte könnten gelesen werden, war aber unbegründet. Denn der Lyrikband wurde überhaupt nicht gelesen. Er wurde auch nicht gekauft, was bekanntlich nicht immer identisch ist.
Da der Dichter einerseits in einer Selbstfindungsphase war, die es ihm verbot, sich um profane Verdienstmöglichkeiten wie etwa das Verfassen von Werbereimen für Bierfilze zu kümmern, er andererseits aber für keine seiner literarischen Vorhaben einen Vorschuss auftrieb, ging es ihm schlecht. Die für seine Garconniere erforderliche Miete zahlte er pünktlich, denn die wurde per Bankauftrag monatlich vom Konto überwiesen. Das Problem war das Konto.
Nun gehen Verzweiflung und Heiterkeit häufig Hand in Hand. Der Dichter schien seine Lage zu genießen, er kostete sie aus. Was die Leute im Künstlercafé, die Schauspieler vom Stadttheater, die Architekten, die Grafiker nicht wissen konnten, irgendwo in diesem Land stand eine Villa, und die würde er, der mittellose Dichter, irgendwann einmal erben. Hinter seinen augenblicklichen Schwierigkeiten konnte also keine existenzielle Panik lauern.
Nicht gut ging es dem Dichter auch in geschlechtlichen Angelegenheiten. Er lebte zu dieser Zeit geradezu in dem Wahn, nur auf Frauen abzufahren, die vergeben waren. Seine Lieblingsposition war die des hoffnungslosen Dritten, was sich in der Regel auf Lyrik nicht so schlecht auswirkt. Aber der Dichter war zur Zeit so unruhig, dass auch Liebesgedichte und erotische Hassgesänge nicht zustande kamen.
Nun kann das ständige Herumsitzen im Kaffeehaus peinlich werden. Ein sensibler Mensch, der der Dichter fraglos war, beginnt sich irgendwann einmal vor dem Kellner zu genieren. Daher fühlte sich der Dichter immer verpflichtet, Einfälle zu haben, Vorschläge zu machen, was man unternehmen könnte. Er regte Autoreisen zu obskuren Sportveranstaltungen an, etwa einem Turnier der Wrestler, er organisierte Ausflüge zum Operettenfestival im altberühmten Kurort. Er machte sich in einer gewissen Clique zum Maître de plaisir.
Eines Tages hatte der Dichter die Idee, ein großes
Mensch, ärgere dich nicht
-Turnier durchzuführen. Es sollte in den damals eleganten Bridge-Räumen im ersten Stock des Kaffeehauses stattfinden, jeder Mitspieler hatte ein Nenngeld zu hinterlegen, so dass der Preis für den Sieger am Finalbrett nicht unbeträchtlich sein würde, und jeder Teilnehmer hatte – das war das Wichtigste – einen Smoking, und jede Teilnehmerin ein kleines Schwarzes oder so was Ähnliches anzulegen. Weiße Handschuhe für Herren waren ebenfalls obligat, die Ausstattung der Räume mit Kerzenleuchtern wurde vorgeschlagen.
Die Sprengkraft dieser Idee war enorm. Ihretwegen lernte der Dichter seinen späteren Freund, den Croupier mit dem italienischen Vornamen, kennen. Dieser war kein Italiener – sein Großvater dürfte noch einer gewesen sein –, aber sein Aussehen, sein Auftreten, seine Eleganz rechtfertigten den italienischen Namen. Er war Croupier im nahe dem Kaffeehaus gelegenen staatlichen Casino. Auch er saß fast täglich am Nachmittag im Kaffeehaus, immer in einer Runde von Croupiers, die gelegentlich von Damen durchsetzt war. Die Croupierclique und die Künstlerclique hatten überhaupt keine Querverbindung, aber da man einander als Stammgäste kannte, gab’s immer freundliche Grüße und auch mal ein »Wie läuft’s?«.
Der Kontakt mit den Croupiers kam wegen der Smoking-Idee zustande, denn der Dichter nahm an, den Croupiers würde es keine Mühe bereiten, all jenen, die keinen Smoking besaßen, einen zu leihen. Das war so einfach nun auch wieder nicht, aber der Croupier mit dem italienischen Namen erklärte, für sein Leben gern
Mensch, ärgere dich nicht
zu spielen und die Sache mit den Smokings in die Hand nehmen zu wollen. Er riss, zur Freude des Dichters, die Organisation des Turniers an sich.
Das Turnier war ein sensationeller Erfolg.
Nie in der Geschichte des Kaffeehauses wurde in den Extraräumen so viel gelacht und gesoffen, nie in der Geschichte des Kaffeehauses Eleganz heiterer zelebriert. Alle Turnierteilnehmer
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