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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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Kostüm anziehen, einfach gut. Wieso heißt das eigentlich Kostüm? Es ist doch nur ein Anzug. Kostüm ist doch was anderes. Was Altes. Frack oder so. Egal, sie sagen Kostüm zum Anzug. Mir soll’s recht sein. Die Tontechniker waren auch immer so freundlich. Den einen habe ich einmal erwischt. Wie ich zu früh dort war, da hat er selbst gespielt. »Over the rainbow«. Bei der einen Harmonie hat er sich überhaupt nicht ausgekannt. Da hat er sich richtig geniert, sie laut anzuschlagen, so daneben war sie. Ich hab sie ihm gezeigt. Das hat ihn gefreut. Es war eine gute Atmosphäre. Theater. Unbedingt wieder Theater! Das ist im Moment die Lösung. Danach kann man weitersehen.
    Der Klavierspieler konzentrierte sich und fixierte ein Programm: Duschen. Zähneputzen. Espresso unten am Eck. Dann U-Bahn. Bin ich noch vor der Mittagszeit beim Direktor. Das ist zu schaffen. Vielleicht eine Rolle Pfefferminz. Gibt guten Atem.
    Er ging unter die Dusche und ekelte sich vor einem leichten Dreckrand auf dem Boden der Duschkabine.
    Nach der dritten Station der U-Bahn war es zu Fuß nicht mehr weit zur »Komödie«. Dem Klavierspieler schien alles so unscharf, was er beim Gehen sah. Bei den Autos konnte er das noch verstehen, die fuhren, die bewegten sich. Aber die Plakate! Warum waren die Schriften, die Körper der Modelle so unscharf?
    Ich sehe gut, sagte er zu sich. Ich sehe ausgezeichnet. Ich spiele zwar nicht gerne vom Blatt, aber sie können mir hinlegen, was sie wollen. Ich sehe alles. Noch im Halbdunkel. Jede Note. Ganz scharf. Das ist nur heute, das mit dieser Unschärfe. Das vergeht. Wahrscheinlich habe ich etwas Schlechtes getrunken.
    Die »Komödie« war ein altes, eher kleines Theater, mit einer Gründerzeitfassade und großen Schaukästen zwischen mehreren Türen. Der Klavierspieler ging von Schaukasten zu Schaukasten und betrachtete die Fotos. Auf einem Porträt erkannte er einen Fernsehstar. Der sah nicht so gut aus wie sonst. »Tod eines Handlungsreisenden« stand unter dem Bild. Der Titel sagte dem Klavierspieler was. Er erinnerte ihn an die Schule. An den Literaturunterricht. Das war das Stück, das er so besonders nicht mochte. Wo er sich absolut verschloss. Dieser Vater, der dauernd einen Sohn überschätzt, der dauernd von ihm behauptet, er sei der Größte, das konnte er damals nicht brauchen. Aber man könnte es sich doch anschauen. Heute. Aus der Distanz. Was hat man zu fürchten, wenn man an diesem Theater Musik macht, eine Produktion musikalisch leitet! Wen hat man da enttäuscht?
    Die Direktionssekretärin fand es fein, dass der Kontakt schon nach dem ersten Anruf geklappt hatte, der Herr Direktor sei gleich frei. Sie bot Kaffee an. Der Klavierspieler dankte, er habe eben erst einen getrunken. Die Sekretärin meinte – durchaus liebenswürdig –, er mache einen leicht übernächtigten Eindruck. Der Klavierspieler bestätigte, er habe bis weit nach vier gespielt, sie wisse ja, wie das ist.
    Der Direktor der »Komödie« telefonierte noch, als der Klavierspieler hereinkam. Er bot lässig einen Sitz an, verabredete mit seinem Gesprächspartner noch einen Rückruf, legte auf, kam freundlich mit ausgestreckter Hand zum Klavierspieler her, gab dem gar keine Chance aufzustehen.
    »Freut mich! Wie geht’s? Was tut sich? Wie läuft’s? Ich hab was für Sie. Wenn Sie Zeit und Lust haben. Wir machen ein Liederprogramm, ein Liebeslieder-Programm, alle so genannten
Lieblinge
, die das Publikum sehen will, sind dabei«, er begann vergnügt zu lachen, »Sie wissen ja, singen wollen alle, auch wenn sie’s nicht können, aber das spielt jetzt keine Rolle«, er wurde wieder sachlich, »wie gesagt: Liebeslieder. Ihr Kollege«, und er nannte einen dem Klavierspieler vertrauten Namen, »hat das Programm zusammengestellt, sehr schön, sehr rund, vielleicht muss man noch was dran machen, er sollte auch selber begleiten, er hat auch mit der Einstudierung schon begonnen, ich muss ihn nur leider rausschmeißen, der Kerl säuft.«
    Dem Klavierspieler stockte der Atem.
    Nichts anmerken lassen, befahl er sich. Seit wann säuft der? Ich hätte gedacht, nicht so viel wie ich. Ich mag den Mann. Er spielt nicht toll Klavier. Ich meine, technisch schon. Aber wenn der ohne Schlagzeug spielt, schwimmt er. Die
time
ist absolut im Arsch bei dem. Aber technisch ist er gut. Seit wann säuft er?
    »Weiß er schon, dass Sie ihn –?«
    »Natürlich nicht. Ich muss doch erst einmal klären, ob ich einen geeigneten Ersatz habe. Sie haben also

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