Die Socken des Kritikers
vergeblich. Der Croupier hatte die Stadt schon verlassen.
Viele Jahre später traf der Dichter einen anderen, damals unbeteiligten Casinoangestellten im Kaffeehaus, der erzählte, der Croupier hätte sich nach dem Urteil in der Hauptstadt zwei erstklassige Galopp-Pferde gekauft und mit ihnen gute Gewinne erzielt. Mit diesen Gewinnen hätte er eines der traditionsreichsten Kaffeehäuser der Stadt erworben und lebe nun von dem Ertrag aus der Verpachtung sehr gut, meist im Ausland.
Der Dichter war zufrieden. Es rennen so viele Gauner erfolgreich herum, dachte er, warum nicht auch mein Freund, der Ehrenmann.
Der Fotograf
Eigentlich war er Musiker. Cellist. In dieser seiner Kunst hatte er die großen Träume hinter sich. Freilich meinte er während seines Studiums, dem Strich des verehrten Casals schon ganz nahe zu sein. Er war seinem Professor auch einer der liebsten Schüler. Was allerdings auch an den blonden Locken gelegen haben mag.
Die zunächst immer wiederkehrende Idee, eine Solistenkarriere zu wagen, vergaß der Cellist nach und nach. Aber die Chance, beim berühmtesten Orchester des Landes für eine freie Position vorzuspielen, wollte er nützen. Er wurde nicht genommen, obwohl er meinte, perfekt gespielt zu haben.
So war er froh, am ersten Pult des tadellosen Theaterorchesters einer Mittelstadt zu landen, dort angesehen, in der Kritik des Öfteren, natürlich nicht namentlich, aber als Instrument erwähnt. Das Cello-Solo in »Tosca« sei des vollen, warmen Tones wegen hervorzuheben, las man in der Besprechung des »Tagesboten«.
Auch sonst lief das Leben des Cellisten in besten Bahnen: Zwei Schwestern waren Erbinnen eines großen Modehauses, nur eine davon hatte Interesse, es auch weiterzuführen, die zweite ließ sich auf Anraten ihres Rechtsfreundes nicht auszahlen, sondern blieb beteiligt. Und dieses gescheite und sonnige junge Mädchen, begeistertes Konzert- und Opernpublikum, eine Musikverrückte kann man sagen, verliebte sich in den blond gelockten Cellisten, der mit seinen runden Brillen aussah wie ein in die Länge gezogener, schönerer Schubert. Es mangelte nicht an einer ererbten ordentlichen Wohnung. Die Eltern hatten für die Töchter schon früh vorgesorgt. Was aber die Lebensqualität des verehelichten Cellisten ins Unendliche steigerte, war ein kleiner Seegrund mit einer einfachen alten Badehütte, einem Rasenstück, einem Bootssteg und einem Ruderboot aus Holz. Dieser Badeplatz war das Paradies der Jungverliebten und dann später, nach der Hochzeit, des harmonischen Paares. Aber auch des oft nach der Probe nur für kurze Zeit allein hinausfahrenden – zum See fuhr man
hinaus
– Cellisten. Da schaute er, sich der Sonne zuwendend, in Noten oder hörte über Kopfhörer Casals, meist die Bach-Partiten, den Blick immer auf das Wasser gerichtet.
Sein musikalisches Sensorium begann sich ins Optische zu verlagern, nein, das ist falsch, begann sich durch das Optische anzureichern. Er wurde nicht müde, das Licht zu verfolgen, das Wellenspiel und die Schatten, in seinem Hirn rahmten sich gesehene Details zu Bildern.
So wie einer, der gutes Musizieren vom Zuhören kennt, schlechtes Musizieren nicht mehr ertragen kann, baute sich im ansonsten friedliebenden und auch politisch uninteressierten Cellisten eine Animosität auf: die gegen Fotos. Wo immer Fotoalben oder gar Dias in der Nähe waren, war er auch schon weg. Ihm Fotos von Geburtstagsfeiern oder Urlaubsunternehmungen zu zeigen, war so gut wie unmöglich. Anders war es, wenn ihm ein Hochglanzmagazin oder eine fotografisch ambitionierte Illustrierte in die Hände fiel. Da blieb er manchmal haften und bewunderte die Komposition. Technische Voraussetzungen dafür waren ihm so unbekannt wie den Berufsfotografen der Steg eines Cellos.
Das Unglück – es war und ist keines, aber wir wollen es so nennen – begann mit der Geburt des Kindes, einer Tochter. Da hatte die Frau des Cellisten ein kleines Seefest arrangiert, offen für Freunde und Familie, man konnte kommen und gehen, noch nicht schwimmen, es war früher Mai, man aß vom kalten Buffet, trank nicht wenig und bewunderte das kleine Kind. Ein alter Dirigent bescheinigte ihm Mozart-Ohren, was auch immer das sein sollte. Das Fest wurde – und das sah der Cellist mit wachsendem Unbehagen – andauernd fotografiert. Er bemerkte, wie Männer und Frauen einfach auf Auslöser drückten, ohne lange nachzudenken, ohne irgendetwas zu wollen, außer in die richtige Richtung zu schauen. Der Cellist
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