Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
Vom Netzwerk:
im Hotel an.
    Eine halbe Stunde später gingen der Dichter und sein Croupier, der Croupier und sein Dichter wieder den Fluss lang. Es war April, das Wetter wechselhaft, der Croupier trug den klassischen englischen Übergangsmantel, Schal und Futter im Karo identisch, schwarzbraune genoppte Maßschuhe. Alles war wie immer perfekt, nur das Gesicht passte nicht mehr ganz dazu. Es schien scheuer geworden, verlegen. Eine Zeit lang redeten sie nichts.
    Dann fragte der Croupier: »Wie läuft’s bei dir?«
    Der Dichter erzählte von guten Zeiten, vom Aufschwung. Ein Hörspielauftrag enthöbe ihn zur Zeit des Ärgers mit der Bank. Der Dichter log. Es ging ihm so mies wie noch nie. Aber er hatte Angst, sein Freund, der Croupier, könnte in die Tasche greifen, einen größeren Schein herausnehmen und sagen, nimm ruhig, streng genommen gehört es ohnehin nicht mir.
    Der Croupier merkte sofort, dass der Dichter log. Aber er maßte es sich nicht an, ihn zu überführen. Er war nicht mehr der Alte.
    Nach und nach begann der Dichter gezielt zu fragen, nach Hergang, nach Stand der Dinge, nach Chancen. Zunächst antwortete der Croupier, als ob er mit einem Anwalt spräche, taktierend, gestelzt. Aber plötzlich blieb er stehen und sagte: »Nein, mit dir muss ich nicht so reden, es geht jetzt nur darum, die Summe herunterzukriegen. Das ist die Strategie der Anwälte. Je geringer die Summe wird, desto geringer das Strafmaß, desto geringer auch die Rückzahlung, denn eines ist ja klar, die lassen uns den Schaden wiedergutmachen.«
    Beim Wort
Schaden
sah der Dichter einen Anflug von genießendem Lächeln im Gesicht des Croupiers. »Wenn ich wieder raus komm, muss ich ja noch was haben, damit ich mir eine anständige Existenz aufbauen kann.«
    Bei dem
was haben
wiederholte sich das Lächeln.
    »Wenn ich Glück habe, und du weißt, mein Anwalt ist eine Koryphäe, muss ich gar nicht mehr rein. Die Monate der Untersuchungshaft und die Bereitwilligkeit, den Schaden gutzumachen, könnten reichen, sagt der Anwalt, wenn wir Glück haben, und wenn die anderen keinen Blödsinn reden, das ist wichtig, dass alle ziemlich dasselbe reden, aber die Anwälte arbeiten eng zusammen, die Strategie ist abgestimmt, es dürfte eigentlich nichts Schlimmes mehr passieren.«
    »Ich halte dir die Daumen«, sagte der Dichter.
    Dann gingen sie eine Zeit stumm, bis der Croupier plötzlich ganz nah vor dem Dichter stehen blieb, ihn mit beiden Händen an den Oberarmen fassend.
    »Weißt du«, sagte er, »weißt du, wie oft ich mir gedacht habe, dir geht’s doch nicht gut, ich sage dir, was bei uns läuft, sage dir, komm heute zwischen zehn und elf, das sind ein paar Tausender für dich, weißt du, wie oft ich mir das gedacht habe, aber dann habe ich mir gedacht, du kannst den Jungen da nicht reinziehen, wenn einmal was passiert, und passieren kann ja immer was, wenn einmal was passiert, dann hast du den auf dem Gewissen, aber glaube mir, wie ich dich so gesehen habe die ganze Zeit, immer wieder habe ich mir gedacht, sag’s ihm, lass ihn was verdienen, aber ich konnte einfach nicht.«
    »Jetzt werde ich dir auch etwas sagen«, antwortete der Dichter. »Ich wäre gekommen. Ich hätte es gemacht.«
    Gleichzeitig schoss ihm durchs Hirn, dass er damit kriminell geworden wäre, dass er eine Vorstrafe hätte, dass es sein Leben hätte zerstören können. So nahe liegen Unbescholtenheit und Kriminalität, dachte sich der Dichter, es hängt im Grunde nur an einer kleinen Information. Das müsste man diesen Bürgermenschen klarmachen, es ist nur die Information, die sie alle von der Kriminalität trennt, falls sie nicht ohnehin unentlarvte Falschspieler sind.
    »Ich hätte mitgespielt«, wiederholte der Dichter. »Ich hätte mitgespielt.«
    »Ich habe es gewusst«, sagte der Croupier. »Deshalb habe ich dir nichts gesagt. Weißt du, ich werde mit der Sache fertig, ich habe da keine größeren Probleme. Aber wenn ich dich richtig einschätze, du wärst vor die Hunde gegangen.«
    »Sicher«, sagte der Dichter. »Ich danke dir, dass du mir nichts gesagt hast.«
    Mein Freund ist ein Ehrenmann, dachte er. Ein klassischer Ehrenmann. Er ist für mein Leben mein Maß für Ehrenmänner.
    Der Prozess nahm einen glücklichen Verlauf. Einmal setzte sich der Dichter ins Publikum, der Croupier sah ihn, sie zwinkerten einander zu. Dass die Monate der Untersuchungshaft tatsächlich reichten und die Rückzahlung enorm hoch war, entnahm der Dichter der Zeitung. Ein Anruf im
Hotel Bristol
war

Weitere Kostenlose Bücher