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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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Dichter die Sache immer und immer wieder durchging, kam ihm auch der Verdacht, es müssten nicht die Croupiers gewesen sein, die nicht Maß gehalten hätten. Es könnten die Berufsspieler auf immer größere Gewinne gedrängt haben, waren sie doch den Croupiers gegenüber in einer Erpressersituation. Die Sache hatte jedenfalls derartige Ausmaße angenommen, dass von der Casinoleitung eingeschleuste Kriminalisten früher oder später den Coup enttarnen mussten. Eines Abends wurde die ganze Mannschaft vom Roulettetisch weg verhaftet.
    Da sind sie also im Smoking ins Gefängnis, dachte der Dichter. Oder hatte man den Leuten Gelegenheit gegeben, sich umzuziehen?
    Der Dichter konnte sich an der Empörung der Zeitungskommentatoren überhaupt nicht beteiligen, obwohl die vermutete Schadenssumme sein Fassungsvermögen sprengte. Er machte sich bewusst, dass hier nicht Arme, nicht einmal Reiche und schon gar keine Unschuldigen bestohlen worden waren, sondern nur die
Casino A. G
., also der Staat. Und der hatte einen Geldpuff betrieben. Bordelle jeglicher Art haben ihre eigenen Gesetze, da können die Normen der Abrechnungsgenauigkeit der Kaffeehauskassa nicht gelten, dachte der Dichter. In einem Casino muss eigentlich gestohlen werden, das ist dem Anlass und dem Ort gemäß. Der Dichter hatte seinem Freund, dem Croupier, diese seine Einschätzung von Casinos nie gesagt, er wollte ihn wohl nicht in seinem Berufsstolz verletzen, es kann aber auch sein, dass dem Dichter diese Bewertung von Casinos erst eingefallen war, als er seinen Freund im Gefängnis wusste, verhaftet wegen ganz simpel angewandter Intelligenz.
    Der Dichter erinnerte sich an das erste und einzige Mal, als er ein Casino von innen gesehen hatte. Damals, in der Stadt, in der er ein Germanistikstudium begonnen und bald darauf hatte ruhen lassen, war einmal eine kleine Studentengruppe ins Casino gegangen, da ein Mathematiker davon gefaselt hatte, man könnte das System der Verdoppelung mathematisch verlangsamen, so dass man nie aus dem Limit käme und früher oder später gewinnen müsse.
    Der Dichter hatte das System, das mit Schreiben und Buchführen verbunden war, nicht begriffen, hatte sich aber einen Betrag eingesteckt und geschworen, nur diesen und keine Münze mehr zu verlieren. Als er nichts mehr hatte, war er damals von Freund zu Freund gegangen, fiebernd, wütend, wollte borgen. Er hatte Glück, keiner konnte ihm was geben. Am nächsten Tag begriff er, er hätte in seinem Zustand sogar, falls vorhanden, Haus und Hof verspielt. Und er beschloss, nie mehr in seinem Leben ein Spielcasino zu betreten.
    Komisch, dachte der Dichter, ich habe ihm nie erklärt, warum ich nicht ins Casino gehe, und er hat mich nie gefragt, warum nicht, und hat mich nie aufgefordert, es doch einmal zu versuchen. Das Roulette war eigentlich das Einzige, worüber wir nie gesprochen haben.
    Der Dichter rief die Frauenärztin an und erkundigte sich nach Besuchsmöglichkeiten im Gefängnis. Diese erzählte ihm, es ginge
ihm
sehr gut, keiner solle sich Sorgen machen, es würde sich alles als Irrtum herausstellen, besonders er hätte mit der Geschichte allenfalls am Rande etwas zu tun gehabt, er bitte inständigst, bis zur Klärung der Angelegenheiten nicht besucht zu werden, von niemandem.
    Das musste man respektieren. Es fiel dem Dichter schwer. Teils aus Freundschaft, teils aus Neugier. Er blieb auf die Zeitungen angewiesen und auf die Kaffeehauskellner, die immer noch etwas mehr wussten als die Zeitungen.
    Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, sein Freund, der Croupier, war der Kopf, der Organisator des Unternehmens gewesen. Der Strafrahmen, den die Zeitungen vorhersagten, war erschreckend hoch. Dem Dichter schien, als würde man die Verhafteten auch dafür büßen lassen wollen, dass der Polizei mindestens ein Croupier in Richtung Südafrika und drei Berufsspieler in Richtung nirgendwo – sie dürften sich nur eines ihrer vielen Pässe entledigt haben – durch die Lappen gegangen waren.
    Nach Monaten der Untersuchung stand dann in der Zeitung, die Anwälte, übrigens die besten der Stadt, hätten die Angeklagten gegen eine hohe Kaution herausbekommen. Fluchtgefahr sei nicht gegeben, sie könnten die Zeit bis zum Prozess in Freiheit verbringen.
    Der Dichter rief bei der Frauenärztin an. Es meldete sich eine Männerstimme und teilte mit, ein Mann des genannten Namens wohne seit längerer Zeit nicht mehr hier, sondern, das sei zufällig bekannt, im
Hotel Bristol
.
    Der Dichter rief

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