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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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daran, sich eines Tages einen professionellen Fotoapparat zu kaufen. Nicht so bald, er hatte sich ja gerade erst einen tollen Musik-Turm mit allen Schikanen gegönnt, aber irgendwann einmal.
    Zum Geburtstag war er da. Der Fotoapparat. Es war ein besonderer. Das war sofort zu sehen. Die Schenkerin, natürlich die Ehefrau, erläuterte ihrem Mann die Wahl des Gerätes und die Geschichte des Einkaufs. Sie habe dem ersten Fotohändler am Platz, dem Besitzer eines alteingesessenen Familienbetriebes, nicht dem Geschäftsführer so einer Billigpreiskette, gesagt, sie wolle ihrem fabelhaft fotografierenden Mann einen neuen Apparat schenken. Und zwar den besten, den es gibt. Und sie erwähnte auch das Eigenschaftswort
professionell
. Der Fotohändler bestätigte ihr die Einschätzung des Fotografiertalentes ihres Gatten, dessen Cellospiel er zudem hervorhob, meinte aber, die professionellen Geräte hätten eine Eigenschaft, die für das Fotografieren ihres Mannes von sekundärer Bedeutung sei. Sie seien besonders schnell. Was
schnell
bei einem Fotoapparat zu bedeuten hatte, war für die liebende Schenkerin im Moment nicht deutbar, sie nahm es aber als Information entgegen. Der Fotohändler legte ihr nahe, doch
den
Apparat zu kaufen, der weltweit anerkannt die besten Objektive habe, den unbestrittenen Star unter wahren Kennern. Er habe da ein sensationelles Angebot zu machen. Einen gebrauchten Apparat aus der besten Serie des Klassikers, das drittletzte Modell, nach Ansicht wirklicher Fotokünstler das vorher und nachher nie übertroffene. Es werde von Sammlern, von Fetischisten gesucht, er müsste es nur inserieren, um es sofort zu überhöhtem Preis loszuwerden, würde es aber jetzt – in künstlerischer und familiärer Verbundenheit – zu einem Vorzugspreis abgeben. Mit vier Wechselobjektiven – er nannte deren Daten – und einem Lederetui, wie es die neuen Kameras gar nicht mehr hätten. Mit diesem Gerät würde sie ihrem Mann die größte Freude machen, versicherte ehrlichsten Herzens der Fotohändler, dem der Respekt anzusehen war, wenn er den Fotoapparat nur in Händen hielt.
    Der vierzigste Geburtstag des Cellisten fiel in den späten Sommer. Das Wetter spielte wieder mit. Auf dem Badegrund waren etwa dieselben Menschen versammelt wie vor zwei Jahren, als der Cellist zum ersten Mal fotografiert hatte. Das Buffet war um eine Torte erweitert. Ein Tischchen für Geschenke präsentierte Verpacktes und Unverpacktes, Lithos, Bücher, CDs, Noten, Flaschen und, nur ganz locker eingewickelt, den Fotoapparat.
    »Das darf doch nicht wahr sein!«, rief der Cellist und drückte seine Frau an sich. Er wusste ein wenig um den Ruf dieser Marke. Natürlich wurde er aufgefordert, sofort die heiteren Menschen, die hellen Garderoben, den Rasen, das Wasser und die Torte für immer festzuhalten. Er aber verweigerte das. Er wolle sich erst einmal mit diesem kostbaren Gerät befassen. Ein Cellist weiß eben, Instrument ist nicht Instrument.
    Am späten Abend, nachdem der Dank für das schöne Geburtstagsfest in einer Umarmung geendet hatte, verließ der Cellist das Ehebett. Er müsse sich jetzt unbedingt intensiv und seriös mit seinem neuen Fotoapparat befassen. Er tat das. An seinem Schreibtisch. Die Lampe auf Apparat und Anleitung gerichtet, nahm er eine bedrohliche Fülle von drehbaren Ringen und drückbaren Knöpfen wahr, las in der Anleitung, wozu die dienten, sah an Fotobeispielen die Ergebnisse der Anwendungen und war verwirrt. Wenn man vor jedem dieser im Grunde ganz harmlos aussehenden Bilder so viel zu bedenken habe, könne das in einer Neurose enden, befürchtete er. Es war ihm ja auch bewusst, in seinem Alter das Instrument Cello nicht noch einmal erlernen zu können, weil er die Zeit der Etüden seelisch nicht mehr überstehen würde. Das ausführlichere Studium der Anleitung wies ihm aber einen Ausweg. Man musste nicht Blende und Zeit und was nicht noch alles einstellen, man musste sich nicht einmal der Teilautomatik von Blende oder Zeit bedienen, man konnte auch eine Einstellung wählen, die nichts anderes war als Vollautomatik. Das musste bedeuten, folgerte der Cellist, in dieser Verwendungsweise ist der Superapparat nicht komplizierter als das abgelegte Hobbygerät. Diese Erkenntnis ermöglichte es ihm einzuschlafen. In Träumen sah er sich aber auf Berggipfeln stehen und angesichts aufsteigenden Bodennebels die richtigen Knöpfe am Apparat nicht finden. Des Morgens kam er etwas unkonzentriert zu einer ersten

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