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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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empfand etwa dieses: Das ist
meine
Frau, das ist
mein
Kind, das ist
mein
See, und alles, was mir gehört, wird jetzt von Hässlichkeit und Lieblosigkeit enteignet, von Fotos, die es ewig auf Papier bannen, auf Papier, das dann irgendwo im Laden herumliegt und zu Recht nie mehr angeschaut wird. Sollte diese Bilder aber jemals jemand in die Hand nehmen, müsste dieser Mensch einen gänzlich ungenügenden Eindruck von diesem Fest bekommen.
    Der Cellist beschloss, die Sache – im ursprünglichen Sinn des Wortes – in die Hand zu nehmen. Er borgte sich vom Mann seiner Schwägerin einen kleinen Fotoapparat, ließ sich sagen, man müsse damit
gar nichts tun
, außer abzudrücken. Nachdem der Cellist für sich geklärt hatte, das stimmt nicht, man muss erst durch den Sucher schauen, begann er auf den Auslöser zu drücken. Beschämt zuckte sein Finger zurück.
Was
hatte er fotografiert? Das hatte doch nicht die kompositorische Qualität der französischen Impressionisten, die doch auch Picknicks und dergleichen gemalt hatten. Zu diesem eben geknipsten Foto war Debussy nicht spielbar, zum Unterschied zu diesen bekannten Gemälden.
    Der Cellist beschloss gute Fotos zu machen. Für Plaudereien war er jetzt verloren. Er schob den Kinderwagen so, dass Sonnenflecken auf dem Gesicht des Babys lagen, er verließ den Seegrund und fotografierte von draußen durch Büsche die Schemen der heiteren Gesellschaft, er stieg ins Ruderboot und knipste vom Wasser aus, an der Kante des Bootshauses vorbei. Schließlich vergaß er den Anlass des Fotografierens, das Fest, wandte sich nur mehr zum Wasser, richtete das Objektiv darauf. So verschoss er den ganzen Film. Da er keinen zweiten hatte und auch nicht in der Lage gewesen wäre, ihn einzulegen, kehrte er zur Gesellschaft zurück. Dort hatte des Cellisten Frau schon angemerkt, so sei ihr lieber Mann, wenn er etwas mache, dann möglichst perfekt.
    Einige Tage darauf wurden im Familienkreis zum Kaffee die Fotos des Strandfestes herumgezeigt. Der Mann der Schwägerin des Cellisten, ein Notar, überreichte das Ergebnis eines Films getrennt von den anderen, mit der Bemerkung, das sei der erste vom Vater des Kindes geknipste Film, und man solle dessen Ergebnisse gesondert betrachten, denn fraglos habe der Künstler eine
besondere Hand
. Nervös griff der Cellist nach seinem Werk, verließ den Salon und sah sich im Nebenraum
seine
Bilder an. Ein paar zerriss er sofort, ein paar wollte er noch einmal in Ruhe betrachten, um sich über Verbesserungsmöglichkeiten und künftiges Vermeiden von Fehlern klar zu werden, ein paar allerdings für gut zu befinden kam er nicht umhin. Da sah er auf dem Foto tatsächlich das, was er durch das Objektiv zu sehen vermutet hatte.
    Fotografieren wäre eigentlich eine hübsche Sache, meinte er, zur Gesellschaft zurückgekehrt. Die Fotos anderer würdigte er sehr bald keines Blickes mehr, hoffend, seine Frau würde später alle ihr überlassenen zerreißen. Das tat sie natürlich nicht. Die, auf denen das Kind, wie entstellt auch immer, drauf war, klebte sie in ein Album. Aber sie tat auch noch etwas anderes. Sie ließ sich von ihrem Schwager den Namen des Fotoapparates nennen, mit dem ihr Mann zum ersten Mal fotografiert hatte. Sie ging ins Fotogeschäft, hörte mit Interesse, da gebe es jetzt das noch einfachere und problemloser zu bedienende, also noch mehr selbstdenkende Nachfolgemodell. Das kaufte sie ihrem Mann und schenkte es ihm zur Premiere von »Don Carlos«, wo er reichlich Gelegenheit hatte, sich als glänzender Musiker zu erweisen.
    So hatte der Cellist jetzt das erste Hobby, wie man so sagt, seines Lebens. Er fotografierte. Zunächst das, was alle fotografieren. Aber eben immer etwas besser. Er konnte auf Licht warten, auf Schatten, auf Winkel, auf Reflexe. Er fand sich mit Perspektiven nicht ab, er suchte Positionen. Er hatte eine Bildidee. Die versuchte er, durch Erfahrung immer sicherer, zu verwirklichen.
    Das hatte zweierlei Folgen. Die Familie und der Bekanntenkreis waren sich einig, der Cellist mache ausnehmend schöne Fotos. Er aber, immer ehrgeiziger, Hochglanzmagazine und Illustrierte häufiger staunend und auch neidischer betrachtend, wurde sich der Leistungsarmut seines Fotoapparates immer bewusster. Schärfe, Brillanz, Lichtempfindlichkeit hatten ihre Grenzen. Vergrößerungen ließen das gnadenlos zutage treten.
    So sagte er einmal zu seiner Frau, nachdem die ihn gerade für ein Bild des nunmehr zweijährigen Kindes geküsst hatte, er denke

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