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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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Seidenteppich ansog, sagte die Frauenärztin leise: »Hat er mir geschenkt.«
    Der Dichter fand das in höchstem Maße respektabel. Da war ein Croupier in eine fremde Stadt gekommen, hatte unter den Frauen, die ihm hätten gefallen können, eine richtige Ärztin gefunden, unter den Ärztinnen eine mit einer besonders schönen Wohnung, unter den Ärztinnen mit besonders schönen Wohnungen eine, die exzellent kochen konnte, unter den schön wohnenden und exzellent kochenden Ärztinnen eine mit größtem Musikverstand.
    Erstaunlich, dachte der Dichter. Er fühlte sich belehrt, in den Möglichkeiten bei der Partnerwahl nichts dem Zufall zu überlassen.
    Der Dichter also wusste, was ihn an den Croupier band. Was wiederum den Croupier an den Dichter band, ist nicht so eindeutig beschreibbar, da der Croupier kein guter Erzähler seiner Empfindungen war. Er bestätigte allenfalls, was der Dichter über ihn vermutete. Demnach interessierte den Croupier an dem Dichter vor allem, dass der einer war, oder darstellen konnte, einer zu sein. Das war für den Croupier so komisch wie unbegreiflich. Er hatte also einen jener Menschen vor sich, die nach Hause gingen, ein Blatt Papier herausnahmen und – was das Leben so in ihnen ablagerte – in eine sprachliche Form, gar in ein Gedicht, brachten. Der Croupier hatte sich, als er im Kaffeehaus des Öfteren die Literaturseite der Samstagsausgabe der berühmten überregionalen Tageszeitung durchblätterte, an einem Gedicht hängen blieb und es immer wieder las, nie vorstellen können, wie ein Mensch aussieht, der so etwas schreibt. Jetzt kannte er einen. Und der hatte genauso Hunger nach Leben, nach einer Leberkässemmel, nach Siegen der Fußballnationalmannschaft wie er. Diese Verwandtschaft genoss er. Und er ließ sich, als sie vom Kaffeehaus weg den Fluss entlang bummelten, Auskunft geben, ob sich der Dichter an den Schreibtisch setzte, wenn ihm etwas einfiel, oder ob er sich an den Schreibtisch setzte, um sich zu einem Einfall zu zwingen. Er wollte wissen, ob man in einem Gedicht korrigieren kann oder ob es sofort in der endgültigen Form dastehen muss. Er ließ sich auch erklären, warum manche Dichter Reim und Rhythmus verwenden und manche nicht.
    Der Croupier war manchmal von einem geradezu fiebrigen Bildungshunger. Der Dichter dachte sich, man hätte bei seinem Freund zu Schulzeiten die Weichen auch ganz anders stellen können.
    Und jetzt sollte er verhaftet worden sein.
    Warum?
    Der Dichter, der ungewaschen, nur in Hemd, Hose und Pulli, zum Zeitungsstand gerannt war, saß fröstelnd vor einer von gestern übrig gebliebenen Tasse kalten Kaffees, suchte den Lokalteil, sah vier Fotos, eines zeigte er seinem Freund, und las.
    Im Casino war ein wohl schon seit Jahren laufender Großbetrug aufgeflogen.
    Eine verschworene Gruppe von Croupiers, die mit der Tischrunde im Kaffeehaus ziemlich identisch war, hatte sich mit einigen Berufsspielern zusammengetan und nach einem ganz einfachen System die Casino A. G. bestohlen. Der Trick – in der Geschichte des Roulettes immer wieder einmal mit Erfolg angewandt – funktionierte so: Der Berufsspieler setzt ständig auf ein und dieselbe Chance und immer ein und denselben Betrag. Das wird so selbstverständlich, dass er seinen Chip gar nicht mehr hinlegen muss. Kommt sein Spiel nicht, nimmt ihm der Croupier einen Chip ab, kommt es, zahlt der Croupier den Gewinn aus, so als ob der Chip auf der Chance gelegen hätte.
    Wenn man nun eine Tischrunde zusammenstellt, in der keiner merken will, dass der Croupier einem Spieler mit der Bemerkung: »Das war Ihr Spiel!« Gewinne auszahlt, die der gar nicht gemacht hat, kann man sich nächtens, nach Spielschluss, treffen und den Gewinn in Ruhe teilen.
    Ganz begriff der Dichter das System fürs Erste nicht. Aber da die Zeitungen dann tagelang berichteten und immer neue Details der Unverfrorenheit und Raffinesse, der Koordination von Croupiers, Aufsichtsbeamten und Berufsspielern enthüllten, kannte er sich bald gut aus.
    Funktioniert musste der Trick schon sehr lange haben, denn die Sache flog auf, weil nun schon der zweite Jahresabschluss des Casinos sich so deutlich, noch viel ärger als der des Vorjahres, nach unten entwickelt hatte, gemessen an den goldenen Jahren davor. Keine Frage, die – wie sollte er sie nennen?, fragte sich der Dichter,
Gauner
schienen ihm absolut nicht adäquat, er entschied sich für das wertfreie
Spieler
– also die Spieler hatten übertrieben, hatten das Maß verloren. Als der

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