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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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Streichinstrumente.
    Der Theaterfotograf empfahl dem Cellisten, in die Hauptstadt zu fahren, dort gebe es ein Geschäft, das alle Neuheiten habe, auch die von morgen, und dazu eine Sonderabteilung für Fotofreaks, für Sammler. Dort erzielten die antiquarischen Raritäten hohe Preise. Dort würde man dem Cellisten entsprechend viel anbieten, er würde beim Kauf eines modernen Allzweck-Apparates noch Geld zurückbekommen. Diese Auskunft gefiel dem Cellisten sehr. Er lud den Theaterfotografen auf ein Bier ein.
    Der Cellist saß im Zug. Durch das Fenster sah er immer wieder einmal ein Motiv. Nein, dachte er, ganz möchte ich das Fotografieren nicht mehr lassen. Sein Auge war auch in der Zeit der Verweigerung die Programmierung nicht losgeworden.
    Er hatte sich zu einem spielfreien Tag noch einen Tag Urlaub genommen und war auf dem Weg in die Hauptstadt. Den Zweck dieser Fahrt hatte er seiner Frau in liebevoller Weise dargestellt. Und sie hatte ihn verstanden. Sie begriff seine Blockade zwar nicht, war aber einsichtig, dass er nach einem Weg suchte, wieder Freude am Fotografieren zu bekommen. Schließlich sei das Kind schon seit längerer Zeit nur durch schreckliche Bilder aus Händen von Verwandten in den Alben vertreten, dabei sei es gerade jetzt so süß.
    Am Hauptbahnhof angekommen, stieg der Cellist, die Fototasche mit allem Drum und Dran über der Schulter, in ein Taxi und ließ sich zum großen, bekannten Fotogeschäft bringen.
    Dieses stellte sich ihm als eine neue Art des Kabinetts des Spalanzani aus »Hoffmanns Erzählungen« dar. Eine Welt der Magie, des unenträtselbaren Irrsinns. Das junge ihn nach seinen Wünschen fragende Mädchen schien überhaupt nicht ins Dekor zu passen. So unkompliziert, so natürlich gab es sich. Der Cellist sagte, was er wollte. Aber er sagte es sehr umständlich. Das Einzige, was das Mädchen begriff, war der Name des zu tauschenden Apparates. Sie bat einen Augenblick zu warten, sie wolle den Herrn holen, der für diese Marke der absolute Spezialist sei. Der kam nach einer Weile, die lange genug war, um den Cellisten frösteln zu lassen. Die Hitze des späten Juni hatte in dieser Klimatisierung keine Chance.
    Der Fachmann kam. Ein Spalanzani. Herr über die Technik. Bereit zur Vorführung und zum Verkauf der Wunder. Er hörte sich des Cellisten noch unsicherer formuliertes Anliegen an. Dann sagte er, nach staunender Pause, in nicht zu überbietender Suggestivkraft: »Wenn Sie einmal in Ihrem Leben mit dieser« – er nannte den Markennamen – »fotografiert haben, werden Sie nie mehr mit einer anderen glücklich.«
    Spalanzani verwandelte sich in Coppelius, den dämonischen Brillenverkäufer. Er machte dem Cellisten ganz andere Vorschläge. Ein Tausch sei schon denkbar. Aber doch nur gegen das neueste absolute Wunderwerk dieser Modellreihe, das diesen Vorzug, jene Digitalisierung undundund habe. Coppelius tat so, als ob er den Cellisten seit langem schon als Meister der Bilder zu verehren gelernt hätte, brachte ihm bei, es sei unter seiner künstlerischen Würde, nicht mit diesem neuen Modell und dessen phänomenalen Zusätzen weiterzuarbeiten.
    Nach einer Stunde verließ der Cellist das Geschäft der Herren Spalanzani & Coppelius mit dem kompliziertesten Fotoapparat der Saison, komplettiert durch Superblitz und Winder, eines enormen Betrages via Scheckkarte beraubt.
    Im Zug, auf der Heimfahrt, brach ihm der Schweiß aus. Ich muss mich entmündigen lassen. Ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne und Entschlüsse. Man kann mich nicht mehr allein vor das Haus lassen.
    Heimgekommen beichtete er und erklärte seiner verständnisvollen Frau und sich, er habe nur eine Möglichkeit der Rechtfertigung. Er müsse diesen Apparat nun in all seinen technischen Facetten begreifen, üben, beherrschen, verwenden. Das begann er zu tun. Nächtelang saß er da, studierte die Möglichkeiten der Selektivmessung, des Overrides, des Ober- und Unterschreitens des Messbereiches, die Schärfentiefen der Objektive, das Spiel mit der vorsätzlichen Unschärfe, das Filtern und was nicht noch alles. Er begann sehr bald extreme Fotos zu machen, verließ beim Einstellen den gesicherten Bereich, riskierte Doppelbelichtungen, wurde in seinen Programmierungen geradezu anarchisch. Aber was er auch tat, es wurde immer Kunst. Er war fassungslos. Je mehr es unübersehbar Kunst wurde, desto weniger begriff er oft, warum. Der Fotohändler jubelte, wenn der Cellist mit einem neuen Film ankam. Er bat sogar um Überlassung

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