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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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– zu schreiben begann. Zunächst nur über sich und ihren Beruf, dann aufgrund kulturpolitischer Interna am Staatstheater auch über Kulturpolitik. Da man ihr immer wieder bescheinigte, ihre Klugheit und eine freche und trockene Art zu schreiben ergäben eine hocherfreuliche Mischung, wurde sie mutiger. Sie begann zu fabulieren, brachte erst eine und bald drei weitere Kurzgeschichten in der Wochenendbeilage eines Intelligenzblattes unter und wagte sich dann an einen Roman. Der war naturgemäß stark in ihrer Biografie verhaftet, verarbeitete die Familiengeschichte, den Einbruch der Kunst in das konservative und teilweise auch arg nazistische Bürgertum. Aber ihr Gefühl für Dramaturgie ließ sie auch Konflikte, Krankheiten, Figuren und alles Mögliche erfinden, sodass sie von der Chronik wegkam.
    Der Erste, der ihr das bestätigte, war ihr Freund, ein Radiologe, ein äußerst kultivierter Mann, etwa fünfzehn Jahre älter als sie, verheiratet und Vater von zwei schon ausgeflogenen Kindern. Er lebte von seiner Frau getrennt in einer Single-Wohnung einer prächtigen Wohnanlage am Fuße der Weinberge. Dort wohnte, nahezu Tür an Tür, auch die Schauspielerin. Dennoch war man lange Zeit, immer freundlich grüßend, aneinander vorbeigegangen, bis man nach einer Mieterversammlung gegen das Fällen der Alleebäume vor der Wohnanlage ins Plaudern gekommen war. Zuvor hatte sie flammend gegen
Barbarei
protestiert, er hatte ruhig über
Verkehrsaufkommen
und
Abgase
gesprochen. Das setzte sich dann bei einem Tee bei der Schauspielerin fort.
    Seine Versuche, sich scheiden zu lassen, hatte der Radiologe aufgegeben, es wäre ohne Prozess und Schmutzwäsche nicht abgegangen. Die Schauspielerin hatte sich seine Scheidung nur kurze Zeit gewünscht, dann nach und nach diese getrennte Zweisamkeit ideal gefunden. Sie beabsichtigte nicht mehr, Veränderungen anzustreben.
    Der Radiologe war am entscheidenden Karriereschritt der Schauspielerin zur Autorin beteiligt, im positiven Sinne schuld. Der würdige Altverleger war nämlich eine Zeit lang sein Patient, es gab Anlass zu stationärer Beobachtung. Und wie es bei Visiten in der Sonderklasse so üblich ist: Der Arzt fühlt sich in Ermangelung medizinischer Aktualitäten zur intelligenten Plauderei verpflichtet. Als der Altverleger eines Tages beklagte, die Geschichtenschreiber würden heutzutage alle vom Kommerzfernsehen aufgesogen, ersuchte der Arzt um die Erlaubnis, dem Altverleger den Roman einer guten Bekannten, der berühmten Schauspielerin, vorzulegen. Der Altverleger gestand, ein großer Bewunderer der Dame zu sein, war sich aber tief innen sicher, es würde sich bei dem angekündigten Manuskript um das übliche Theatergewäsch der Mimen handeln. Als er erst in der Mitte des Textes war, ersuchte er den Radiologen, die Dame doch an sein Krankenbett zu bitten, er würde gerne die Details des Autorenvertrages, den Erscheinungstermin und alles Weitere mit ihr besprechen.
    So war es gekommen, dass sie eine
richtige
Schriftstellerin wurde.
    Sie hatte mit ihrem Erstling einen mittleren, aber eben doch einen Erfolg und war vom Altverleger aufgefordert worden, keine allzu lange Zeit bis zum Nachfolgetitel verstreichen zu lassen. Die Suche nach dem tragenden Einfall dafür machte sie ein wenig fahrig, in Nächten panisch. Sie fragte gelegentlich ihren Radiologen, was der von diesem oder jenem Sujet hielte, da der ihr aber grundsätzlich zu allem riet, was sie erwog, gab sie es auf, ihn in dieses Gespräch zu ziehen. Einmal, sie waren im Fischrestaurant am Flussufer und verjüngten sich durch Knoblauch und Weißwein, sagte der Radiologe: »Es wird nicht leicht sein«, und verriet so, dass er mit ihr litt, was die Stoffsuche betraf.
    Und jetzt war der Verlag verkauft.
    Die Autorin war traurig, aber auch ein wenig erleichtert. Dem Mentor, dem Entdecker, fühlte sie sich verpflichtet, anonymen Nachfolgern nicht, zumal sie ja nicht wusste, ob die überhaupt noch etwas von ihr wollten.
    Zunächst brachte das Feuilleton ein Bild der neuen Verlagsleitung. Es war eine Frau. Eine Frau mit hochinteressanter Physiognomie, alterslos, also wohl so um die fünfzig, falls das Foto aktuell war, eine Germanistin von großer wissenschaftlicher Reputation, wie das Blatt vermeldete.
    Bald darauf rief ein Verlagssekretariat an und lud die Autorin zu einem Gesprächstermin. Das Kennenlernen sollte nach dem Wunsch der Verlegerin nicht im Büro, sondern im exquisitesten japanischen Restaurant stattfinden. Die

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