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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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außerordentlichen Frau, die sich damit abgefunden hatte zu dienen. Ihm.
    »Vor diesem Hintergund kann ich das erzählen. Da kenne ich mich aus. Da wird jedes Detail stimmen. Da kann ich grausam übertreiben, bis an die Grenzen der Glaubwürdigkeit, da kann ich so richtig« – sie legte alle Leidenschaft in das Wort – »
schreiben

    Der Radiologe dachte kurz nach. »Du musst den Status quo weiterdenken. Wie geht die Sache aus?«
    »Mit der Bloßstellung, der Enttarnung, der Emanzipation. Damit wahrscheinlich mit einer Katastrophe. Aber die sage ich dir nicht.«
    Die Verlegerin traf die Autorin bald darauf im Pausenfoyer der Oper. Alles, was Rang und Namen hatte, war bei der Premiere des neuen englischen Star-Choreografen versammelt. Die Verlegerin erspähte die Autorin aus einer sehr elitär aussehenden Gruppe heraus und kam sofort auf sie zu. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug aus strukturierter Seide, auf der Brust eine Brosche am Rande der Kleinplastik, sie war schön, exzentrisch und – die Autorin musste es sich abermals eingestehen – im Alter nicht definierbar. Die Verlegerin reichte dem vorgestellten Radiologen beiläufig die Hand, um sogleich ihre Frage an die Autorin loszuwerden:
    »Was ist mit dem neuen Buch?«
    »Ich bin wie verrückt dabei, seitdem ich
den
Stoff habe.«
    »Da wüsste ich gerne Näheres.«
    Spielerisch bat sie den Radiologen zu entschuldigen und dirigierte die Autorin an die Champagner-Bar. Sie orderte zwei Glas.
    »Schießen Sie los!«
    Die Autorin erzählte, sehr vorsichtig, Ross und Reiter nicht allzu sehr präzisierend, den Plot, die auf dem Auswringen einer an ihn verlorenen Frau basierende Geltung eines bedeutenden Theatermannes; die Analyse des Entstehens dieser Beziehung und des Kräfteverhältnisses darin, die naturgemäß früher oder später zu erwartende Katastrophe durch eine dritte Person.
    Ein leises, sieghaftes Lächeln umspielte die Verlegerin. Es konnte besagen, ich habe mich nicht geirrt, von dieser Frau ist etwas zu erwarten, es ist eben
meine
Autorin.
    »Wann meinen Sie, werden Sie so weit sein?«
    »In drei, vier Monaten garantiert.«
    »Haben Sie einen Arbeitstitel? Ich möchte es gerne in die grobe Planung für den nächsten Herbst hineinnehmen.«
    Die Autorin war selig. Ungelesen, ungeprüft wollte diese Frau mit ihr disponieren. Titel hatte sie noch keinen. Aber sie erfand ihn in der Sekunde:
    »Der zweite Mensch.«
    Die Verlegerin horchte dem Titel kurz nach.
    »Gespeichert.«
    Das erste Klingelzeichen ertönte.
    »Wir werden erwartet.«
    Wieder – man kann es nicht anders nennen – löste sie sich königlich von der Autorin.
    Im Gehen sagte sie noch kurz:
    »Finden Sie es auch so fade?«
    Das klang so nach besonderem Vertrauen. Wenn sich schon alle anderen blöd machen lassen, wir zwei doch nicht.
    Als die Autorin von einer ihr zur Zeit höchst lästigen Theatervorstellung heimkam, öffnete sie rasch die Tür zur Wohnung des Radiologen. In einer Schreibkrise, einer von ihr leicht hysterisch hochgespielten Depression, hatte sie gemeint, ohne ein Feedback nicht weiterarbeiten zu können. Dem Verlag, genauer gesagt dieser Frau wollte sie nur das fertige Buch übergeben, im Lektorat des Verlages waren, wie man hörte, neue, ihr unbekannte Leute. Also blieb ihr nichts übrig, als ihren Gefährten ins Vertrauen zu ziehen.
    Der saß jetzt, die Beine auf dem Tisch neben einer halb geleerten Rotweinflasche, und las. Bevor sie noch etwas sagen konnte, kam von ihm die Seligsprechung:
    »Ich finde es fabelhaft.«
    »Wirklich?«
    Die Frage war rhetorisch. Den Kuss hatte er sich schon verdient. Sie setzte sich ihm gegenüber und wollte jetzt die Detaillierungen des
fabelhaft
genießen. Er sagte aber etwas ganz anderes.
    »Nur, ich habe das Gefühl, es ist für einen Menschen aus eurer Branche unmöglich, nicht sofort zu wissen, wer wer ist. Das ist kein Schlüsselroman, das ist, so lese ich es jedenfalls, ein Porträt. Wenn ich der Mann bin, verklage ich dich, dass es nur so raucht.«
    Sie wusste, er hatte recht. Die Lust am Erzählen des Gekannten, des Erlebten, des Gesehenen war mit ihr durchgegangen. Sie hatte die Authentizität übertrieben, die Figuren zu minimal verändert. Wer sollte das sonst sofort merken, lachte sie, wenn nicht ein Radiologe? Sie wollte sich aber wehren.
    »Ich
kann
das nur schreiben, wenn es im Theater spielt. Von Kernspintomografie weiß ich nicht einmal, was es ist.«
    »Wer redet denn davon? Du musst nur die Sache irgendwie parallel
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