Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
Vom Netzwerk:
verschieben – wie sagt man im Literaturdeutsch? –, verfremden. An der Geschichte muss sich ja nichts ändern.«
    Die Autorin goss sich ein Glas Rotwein ein und schüttete es hinunter.
    »Ich hab’s.«
    Zwei Monate darauf rief sie im Verlag an, um das Manuskript anzukündigen. Die Sekretärin der Verlegerin ersuchte, es eingeschrieben einzusenden, ihre Chefin sei zur Zeit in Paris, um über Lizenzen zu verhandeln. Am Tag danach erreichte die Autorin ein Anruf aus Paris. Die Verlegerin habe zu ihrer großen Freude von der Fertigstellung des Romans gehört, sie würde sich auf wenig so freuen wie auf dessen Lektüre, sofort nach ihrer Rückkehr würde sie sich daranmachen, dann sollte es doch bald ein Gespräch über Cover und alles andere geben, vielleicht diesmal endlich einmal in privatem Rahmen.
    Zwei Wochen vergingen. Dann traf ein Brief ein. Ein höflicher Brief. Ein zu höflicher Brief. Man sei nach Prüfung des Manuskriptes zur Ansicht gelangt, übereinstimmend und nach nur kurzer Diskussion, man würde dem Verlag und auch der Autorin nichts Gutes tun, würde man dieses Buch so drucken. Da wären doch auffallende stilistische Unsicherheiten zu korrigieren, von der Unwahrscheinlichkeit des Stoffes und der Überzeichnung der Figuren ganz abgesehen.
    Die Autorin begriff nichts. Sie bekam keine Luft. Sie konnte sich nichts erklären. Der Radiologe, dem sie ihre Umarbeitung nicht mehr gezeigt, sondern immer nur angedeutet hatte, er würde von der tollen Idee überrascht sein, hatte Mühe, sie zu beruhigen.
    Sie spazierten in der Fußgängerzone. Da sah sie ihren Erstling in der Auslage einer Buchhandlung. Sollte es damit aus und vorbei gewesen sein? Sie hatte schon wieder nasse Augen. Vor Wut. Der Radiologe blieb besonnen. Sie hätte wohl ein Recht auf eine persönliche Auskunft, ein Gespräch. Weiß der Kuckuck, welches Missverständnis sich da aufklären würde.
    So bemühte sie sich telefonisch um einen Termin. Sie spürte, wie sie vertröstet wurde, wie man sie mürbe machen, zum Aufgeben veranlassen wollte, aber sie setzte sich durch. Übermorgen, um zehn Uhr fünfzehn hätte die Verlegerin ein kleines Terminloch, wurde ihr beschieden. Schmallippig nahm sie auch diese Demütigung hin.
    Zum Termin kam sie pünktlich. Sie wurde auch sofort vorgelassen. Die Verlegerin saß hinter einem modernen Schreibtisch inmitten eines Empire-Ensembles. Der Raum war das Nonplusultra an Geschmack. Die Verlegerin trug eine Bürobrille, die ihr Gesicht hart machte. Sie sah die Autorin an wie eine ihr nicht sehr sympathische Fremde.
    »Sie wollen wissen, warum ich Ihr Buch nicht gut finde? Ich habe es Ihnen doch geschrieben.«
    »Ja, aber das kann ich so nicht begreifen.« Die Autorin saß in der Besuchergarnitur und versuchte sich zu wehren.
    »Ich kann doch das Schreiben zwischen den beiden Büchern nicht verlernt haben. Ich weiß doch noch« – sie besann sich jetzt ihrer ganzen schauspielerischen Klasse, fixierte die Verlegerin und sprach so suggestiv, wie es nur geht – »wie Sie mich über die Maßen gelobt haben. Und wie Sie der neue Stoff interessiert hat.«
    Unter dem Blick der Schauspielerin entwich der Verlegerin die Souveränität. Das Königliche war weg. Die Frau fühlte sich gestellt. Sie hatte eine Antwort zu geben. Eine Auskunft über ihre Motive. Damit musste sie etwas von sich preisgeben, ihre maskenhafte Überlegenheit ablegen. Sie zitterte leicht. Aber der Blick der Schauspielerin ließ sie nicht aus. Die Verlegerin rang mit sich, hob das vor ihr liegende Manuskript auf, ließ es wieder fallen und sagte gepresst, Tränen unterdrückend:
    »So etwas schreibt doch nur eine –«
    Dann verließ sie hastig, sich ihrer Emotion offenbar schämend, das Büro in einen Nebenraum.
    Was hatte sie im Abgehen, in der Tür gesagt? Leise? Nicht mehr hörbar? Und doch? Hat sie nicht
Schwanzfickerin
gesagt? Das ist doch nicht möglich. Aber sie hat.
    Die Autorin sah auf den Schreibtisch. Da stand schräg gegenüber vom Arbeitsstuhl ein Foto. Die Autorin drehte es um. Da war ein Mädchen drauf. Keine Tochter. Nein, nein. Ein Mädchen. Sein Blick sagte: Komm, hol dir alles, was du brauchst, um eine Königin zu sein!
    Die Autorin sagte halblaut: »Ich Idiotin.«
    »Ich hab’s für eine geniale Idee gehalten, aus dem Megamacho eine Frau zu machen. Weil sich dadurch so viele Veränderungen ergeben haben, da wäre niemand mehr draufgekommen –«
    Sie lachte, schon leicht betrunken. Das Fischlokal war knoblauchgeschwängert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher