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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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legte sich leise neben sie, hörte einen seine Anwesenheit bestätigenden Grunzer, und dann wurde es für lange Zeit ganz still im Haus.
    Der Rest ist rasch erzählt. Zwei Tage später rief der junge Mann die Agentur an und fragte nach der Kopie des Buches. Wie hätte man das Buch denn kopieren sollen, fragte die Sekretärin eingeschnappt zurück, die Chefin hätte doch das Original der großen alten Dame von Funk und Fernsehen auf den Flug in die Provence mitgegeben. Das Schreiben von Drehbüchern ohne Durchschlag sei übrigens unüblich, normalerweise würden Bücher in sechsfacher Ausfertigung abgegeben. Der junge Mann bedauerte. Er hatte damals noch kein Kopiergerät, das war auch bei arrivierteren Kollegen noch nicht die Regel, und an Schreiben mit Durchschlag hatte er bei diesem Stress nicht gedacht.
    Als der junge Mann zwei Wochen nichts von einer Reaktion der großen alten Dame von Film und Fernsehen und vor allem des Fernsehprogrammdirektors gehört hatte, rief er abermals die Agentur an. Die Sekretärin gab Auskunft, keine Information zu haben, die Chefin sei zur Zeit auf einer längeren Amerikareise. Der junge Mann hielt es nicht mehr aus. Keineswegs weil er und die Freundin die eine oder andere Kaufabsicht in die Tat umsetzen wollten; nein, weil sein berufliches Selbstwertgefühl auf dem Spiel stand. Er zwang die Sekretärin der Agentur mit bei ihm erstmals auftretender Härte zur Herausgabe der Geheimnummer der großen alten Dame von Film und Fernsehen. Er rief dort mehrfach an, ohne jemanden zu erreichen. Einmal meldete sich eine Sekretärin oder Haushälterin, die angab, von einem Drehbuch einer Fernsehserie
Die Komödianten
nichts zu wissen. Der junge Mann bat sie nachzufragen. Nachdem er wieder dreimal vergeblich angerufen hatte, beschied sie ihn beim vierten Mal, ja, die große alte Dame von Film und Fernsehen hätte sich das Buch angesehen, aber sie spiele auf absehbare Zeit aus grundsätzlichen Erwägungen keine
Kostümrolle
. Damit meinte sie, keine historische Rolle, nichts, was – wie man so sagt –
zurückspielt
.
    Man könnte nun Vermutungen anstellen, ob die Agentin gepokert oder nur hochgestapelt hatte, wie ihr Verhältnis zur berühmten Klientin überhaupt war, ob das Argument der Ablehnung durch die große alte Dame von Film und Fernsehen nicht ein vorgeschobenes war, ob ihre Sekretärin es nicht überhaupt erfunden hatte, um den Anrufer endlich loszuwerden, oder ob es der Fernsehdirektor gewesen war, der schon vorher in eine andere Richtung entschieden hatte.
    Mir ist es um die Klärung all dieser Fragen nicht gegangen. Ich habe die Geschichte nur erzählt, um mitzuteilen, mich könne das bekannte Prosadrama vom alten Mann und dem Meer nie mehr so richtig ergreifen, seit ich von der Geschichte des jungen Mannes und seines Drehbuchs weiß.
    Ich habe auch darüber nachgedacht, ob ich die Geschichte nicht mit einer knalligeren Schlusspointe versehen soll. Ich hätte, was bei fehlenden Kopien nahe liegend gewesen wäre, das Drehbuch in Verlust geraten lassen können. Aber die Realität verhält sich nicht so wie die Dramaturgie der Fernsehserien.
    Der junge Mann, der später noch ausgiebig mit Fernsehanstalten zu tun hatte, bekam sein Buch nach eineinhalb Jahren wieder in die Hände. Ein Dramaturg hielt es ihm entgegen und sagte: »Ist das von Ihnen? Gar nicht uninteressant. Na ja, vor zehn Jahren wäre das vielleicht noch was für die –«, und er nannte den Namen der großen alten Dame von Film und Fernsehen, »– gewesen, jetzt ist sie zu alt dafür.«
    Der junge Mann verspürte kurz einen stechenden Nervenschmerz oberhalb des linken Auges.

Der zweite Mensch
    Das war für alle Autoren und Autorinnen des Verlages eine große Überraschung, als sie aus der Zeitung erfuhren, der kleine, aber feine Literatur-Verlag wäre an ein größeres Haus verkauft worden. Der Verleger, ein Bücherpatriarch der alten Schule, würde gänzlich abtreten, eine neue Verlagsleitung demnächst genannt werden.
    »Ob die neuen Leute mich dann noch wollen?«, fragte die Autorin ihren Freund. Sie war in diesem Beruf jung, obwohl schon Anfang vierzig. Sie war nämlich Schauspielerin, als solche angesehen und erfolgreich, aber eben in diesem gewissen Alter, in dem die Anzahl der angebotenen Rollen mit dem Rang nicht immer Schritt hält. Sie hatte sich auch die Jahre davor von ihrem Schauspielerberuf nie ganz ausgelastet gefühlt, versuchte das durch private Sensationen auszugleichen, bis sie – mehr zufällig
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