Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
Der Becher war jetzt bis zum Rand mit einer schlammfarbenen Flüssigkeit gefüllt, von der eine schillernde pilzförmige Rauchwolke aufstieg, als die Blätter darin versanken. Kelly starrte die Wolke mit großen Augen an. Einen solchen Trick hatte sie nie zuvor gesehen.
Der Mann trat von dem Tisch zurück, an dem er gearbeitet hatte, trug den Becher zu ihr hinüber, verlangsamte seine Schritte, schüttelte angewidert den Kopf, funkelte den größeren, etwas älteren Mann, der sie festhielt, finster an und ratterte dann eine Reihe von Anweisungen herunter, woraufhin der Größere Kelly in seinen Armen aufrichtete und sie in eine Position brachte, die ihr das Trinken erlaubte.
Während sie den Becher argwöhnisch beäugte, schossen Kelly Visionen von K.o.-Tropfen durch den Kopf, mit denen Vergewaltiger ihre Opfer außer Gefecht setzten. Als ihr der Becher an den Mund gehalten wurde, schüttelte sie nachdrücklich den Kopf und presste die Lippen fest zusammen. Der zweite Mann, der sein hellbraunes Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen trug – eine merkwürdige Frisur für einen Mann -, seufzte und raunte dem anderen mit dem helleren honiggoldenen Haar etwas zu.
Die beiden schienen einen Moment lang zu diskutieren, dann gestattete der Mann, der sie festhielt, dem Jüngeren – seinem Bruder oder zumindest seinem Cousin, wenn man die Ähnlichkeit zwischen ihnen berücksichtigte – ihm die Schale an die Lippen zu setzen. Kelly beobachtete ihn scharf, um sicherzugehen, dass er die Flüssigkeit wirklich trank und nicht nur so tat.
Ihr entging auch nicht, dass er das Gesicht verzog, als der Becher weggezogen wurde, ehe er ihn mehr als zur Hälfte leeren konnte. Der jüngere Mann stieß ihn gegen den Arm, woraufhin sein Bruder sich ein Lächeln abrang und »Mmh!« murmelte, wie um sie davon zu überzeugen, wie gut das Gebräu schmeckte.
»Das hast du dir so gedacht«, grollte sie leise. Der Ältere
zuckte zusammen, legte den Kopf schief, blickte stirnrunzelnd auf sie hinunter und versetzte ihr dann den Schock ihres Lebens, indem er sie in perfekt verständlichem Englisch ansprach.
»Was hast du gesagt?«
Ihre Lider flogen auf, aquamarinfarbene Augen bohrten sich in umwölkte graue. »Sagen Sie mir lieber, was Sie gesagt haben!«
Er gab keine Antwort. Stattdessen blickte er sich zu dem anderen Mann um, zuckte die Achseln und bemerkte sarkastisch: »Wenigstens wissen wir jetzt, dass es funktioniert hat. Danke, dass du mich nicht vergiftet hast. Zumindest diesmal noch nicht.«
Der Mann, der den Becher mit dem Trank in der Hand hielt, schüttelte lächelnd den Kopf und murmelte dann etwas, was seiner reumütigen Miene nach zu urteilen ungefähr bedeuten musste: »Ich habe kein Wort von dem verstanden, was du eben gesagt hast, schon vergessen?« Aber zumindest einer der beiden Männer im Raum wusste, was hier vor sich ging, und das genügte ihr. Sie bot den letzten Rest ihrer Energie auf, um genau dort einzuhaken.
»Was zum Teufel ist hier los? Wo bin ich? Wie bin ich hierher gekommen? Wer um alles in der Welt sind Sie? Und lassen Sie mich gefälligst sofort los, Sie Grobian!« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen trat sie nach ihm, da er ihre Arme noch immer fest gegen ihre Seiten presste.
Die beiden Männer begannen sich wieder in dieser anderen, unverständlichen Sprache zu besprechen, dann blickte der, der sie festhielt, auf sie hinab. »Er sagt, du sollst den Becher austrinken – und wenn du mich noch ein einziges Mal beißt, reiße ich dir deinen verdammten Kopf ab!«
»Daran sind Sie selbst schuld, Sie hätten mich ja nicht anzugreifen brauchen«, gab sie scharf zurück, dabei wand sie sich heftig in seinem Griff, obwohl der Adrenalinstoß,
den die Erkenntnis, endlich verstanden zu werden, durch ihren Körper gejagt hatte, abebbte und ihre Kräfte erneut nachließen. »Und ich trinke ganz bestimmt nichts, was ich nicht kenne.«
»Das ist ein Sprachenübersetzungstrank, du kleine Närrin!«, donnerte der hünenhafte Mann. Seine stahlgrauen Augen blitzten zornig auf. »Wie sonst könnte ich dich wohl in deiner Sprache als Närrin bezeichnen?«
Der andere Mann warf leise etwas ein, was Kelly noch immer nicht verstand. Es war ihr auch schleierhaft, wie der sämige, jetzt weiß verfärbte Trank irgendwelche Sprachen in andere übertragen sollte. Es musste sich doch um einen Trick handeln.
»Lassen Sie mich herunter!«
»Erst wenn du diesen Trank bis zum letzten Tropfen geschluckt hast, Frau!«,
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