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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte er ebenfalls nie vergessen, und inzwischen hatte er Zeit genug gehabt, um sich die Bedeutung der Worte zusammenzureimen.
    Laucme c zusle . Ein König und ein Opfer.
    Sie war der Kinder wegen zurückgekommen, das wußte er, und er schwor sich, nicht zuzulassen, was auch immer sie mit ihnen plante. Dennoch glaubte er auch, daß ihm seine eigenen Götter einen neuen Beginn geschenkt hatten. Diesmal würde er alles richtig machen. Diesmal würde er sie von dem Wahnsinn befreien, der sie zeichnete wie die Narben, die er jetzt auf ihrem Rücken ertastete, und sie würde ihm dankbar sein.
    »Ich wünsche ihr den Tod«, sagte er, als ihm wieder einfiel, daß eine Fremde es gewagt hatte, Larentia so etwas anzutun. Ihre sachliche Entgegnung, nur von leichter Erschöpfung gefärbt und frei von dem Haß, der sie eigentlich hätte färben sollen, ließ ihn frösteln.
    »Oh, sie ist tot. Sie starb, noch bevor ich Ägypten verlassen habe.«
    »Dann warst du wirklich in Ägypten?« fragte er, um nicht an die mögliche Bedeutung ihrer Worte zu denken.
    »Ja. Und ich erhielt das, was mich dorthin geführt hat.« An der Art, wie sich ihre Schultermuskeln unter der Haut bewegten, konnte er spüren, daß sie die Arme über den Rand des Lagers hinaus ausstreckte.
    »Wir müssen eben für alles einen Preis bezahlen.«
    Das müssen wir, dachte er. Aber manchmal ist es die Sache wert.

    Romulus fand es widerwärtig, wie schnell Remus die Fremde mit »Mutter« anredete und was für ein Gewese er wegen ihrer Geschenke machte. Sie waren beide zu alt für Spielzeug und hatten die Kreisel, die ihnen der Vater geschnitzt hatte, schon lange beiseite gelegt, doch Remus zog tatsächlich das grün angestrichene Tier auf Rädern, das aussah wie eine Eidechse und dessen Maul auf und zu klappen konnte, hinter sich her.
    »Es heißt Krokodil«, berichtete er aufgeregt, »und sie sagt, es sei gefährlicher als ein Wolf und könne Schafe verschlingen.«
    »Für mich sieht es aus wie eine Eidechse, die man zertreten kann«, beharrte Romulus.
    Allerdings entging ihm nicht, daß die anderen Kinder zutiefst beeindruckt von dem Ding waren. Nicht, daß es ihn und Remus im Ort beliebter machte. Den meisten war die aus dem Nichts wiederaufgetauchte Larentia, die so eindeutig aus einer anderen Welt kam, unheimlich. Als sie zum ersten Mal am Fluß Wäsche wusch, was sie im übrigen durchaus beherrschte, sprach keine der anderen Frauen sie an, was Romulus, der sich versteckt hatte, um sie zu beobachten, zutiefst befriedigte. Sie hatte es ohnehin schon viel zu leicht hier, dank der Art und Weise, wie der Vater und Remus sie aufgenommen hatten.
    »Ich habe gehört«, flüsterte ihm Pompilia die Jüngere boshaft zu, »deine Mutter sei gar kein Mensch. Es heißt, sie verwandle sich bei Vollmond in eine Wölfin, und dein Vater hätte sie damals aus dem Wald geholt, bis sie ihm wieder weggelaufen ist.«
    Er schnitt eine Grimasse. »Ja, sie ist in Wirklichkeit eine Wölfin, und beim nächsten Vollmond wird sie dich auffressen !«
    Der Mond rundete sich eineinhalb Wochen nach Larentias Rückkehr, und Romulus fiel auf, daß an diesem Tag alle einen weiten Bogen um ihr Heim machten. Am Abend hörte er, wie die Leute in der Nachbarschaft ihre Türen verbarrikadierten, und er mußte grinsen, was sofort auffiel, da er sonst in Gegenwart seiner Mutter mit einer düsteren Miene herumlief.
    »Was ist denn so lustig?« fragte sein Vater gutmütig.
    »Sie glauben, du seist eine Wölfin«, erwiderte Romulus und wandte sich damit zum ersten Mal direkt an Larentia, denn wenn er seinem Vater geantwortet hätte, wäre die Verwendung des Wortes Mutter unvermeidbar gewesen.
    »Und woher weißt du, daß ich keine bin?« fragte sie zurück.
    Romulus rümpfte die Nase. »Das gibt es doch gar nicht, Wölfe, die sich in Menschen verwandeln. Das ist nur ein Märchen.«
    Sie hob eine ihrer geschwungenen Augenbrauen, die sich von seinen eigenen kaum unterschieden, tauchte einen Löffel in die Holzschüssel, in die sie drei ihrer zugegebenermaßen guten Hühnereier geschlagen hatte, rührte heftig und bemerkte dabei:
    »Wenn dem so ist, dann hast du sicher auch keine Angst, mit mir heute nacht durch den Wald zu gehen.«
    »Nein«, mischte sich der Vater zu seiner Überraschung ein und klang sehr unangenehm berührt. Romulus spitzte die Ohren. Das war die erste Gelegenheit seit ihrer Ankunft, bei der der Vater Unbehagen Larentia gegenüber zeigte, und die erste Gelegenheit überhaupt, bei der er

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